IM BRENNGLAS DER ALEXANDERTECHNIK: Die Handschrift
Liebe Marie,
"kaum etwas hat auf die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen einen derart großen Einfluss, wie das Schreiben von Hand." Dies erklärt Marianelo Diaz-Meyer, die Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts in der Westfälischen Rundschau vom 1. Juni 2022. Dabei würden Areale im Gehirn aktiviert, die für die Wahrnehmung, die Informationsverarbeitung und die Bewegungskontrolle zuständig sind. Und nach neuesten wissenschaftlichen Studien sei Scheiben ein Prozess, "der die Erinnerung des Gelernten verbessert. " Das langsame Formen der Buchstaben lege offenbar im Gehirn Gedächtnisspuren an, heißt es in der Westfälischen Rundschau weiter.
Viele Schüler haben aber inzwischen massive Schwierigkeiten beim Schreiben mit der Hand. Sie schreiben teilweise unleserlich, nicht flüssig genug und zeigen wenig Ausdauer bei dieser Tätigkeit. "Kinder und Jugendliche bewegen sich immer weniger", was ein wichtiger Grund für den deutlichen Leistungsabfall beim Schreiben mit der Hand sei, so Diaz-Meyer.
Die Hand, ein "Geniestreich der Evolution", wie der Titel eines Sachbuchs von Frank R. Wilson lautet, ist nun aber aus Sicht der Biochemie "ein integraler Bestandteil des ganzen Armes, genauer, der spezialisierte Endabschnitt einer kranartigen Struktur, die an Hals und Schultergürtel aufgehängt ist." So kann leicht nachvollzogen werden, dass die Tätigkeiten der Hand insgesamt und die Handschrift im Besonderen Schaden nehmen, wenn die Motorik der Kinder micht mehr ausreichend gefördert wird und sich die Motorik der Erwachsenen durch Nicht-Gebrauch mehr und mehr zurückentwickelt. Ein Leben im Sitzen bei der Arbeit und in der Freizeit vor den diversen Bildschirmen, das Auto beständig als Vehikel zur Fortbewegung einzusetzen, anstatt PER PEDES oder mit dem Fahrrad an sein Ziel zu gelangen, ist für die Motorik der Menschen wahrlich nicht sehr förderlich.
Das ist es also: Die motorischen Fähigkeiten des Einzelnen sind zu schulen oder zumindest zu erhalten, soll das Schreiben mit der Hand nicht zu einem krakeligen Schriftbild verkommen. Dies kann auf so vielfältige Weise geschehen, wie es motorische Betätigungsfelder gibt, solange dabei das natürliche Verhältnis zwischen Kopf, Hals und Rücken ungestört bleibt. Wenn bei der motorischen Ausbildung in dieses Verhältnis beständig schädigend eingegriffen wird, nehmen die Defizite in der Feinmotorik eher noch zu, als dass sie abgebaut werden, und das Schriftbld verschlechtert sich weiter.
Der allgemeine Verfall der Handschrift ist deshalb nicht nur darauf zurückzuführen, dass Handschritliches kaum mehr verfasst wird und so die Hand für das Schreiben "aus der Übung" gekommen ist. Ihr Verfall hängt vor allem auch damit zusammen, dass der allgemeine Gebrauch des Zivilisationsmenschen inzwischen sehr zu wünschen übrig lässt. Nur ist es gar nicht so einfach, von einer guten oder schlechten Gewohnheit zu lassen. Der Wille zur Veränderung allein reicht hier bei weitem nicht aus. Davon weiß jeder ein Lied zu singen, der schon einmal mit dem Rauchen aufhören wollte. Nein, um eine Gewohnheit zu verändern, bedarf es schon eines gewissen Know-hows. Und dieses Know-how stellt die Alexandertechnik zur Verfügung.
F. M. Alexander hatte herausgefunden, dass mit der Art und Weise, wie man seinen Körper gebraucht, auch seine Funktionsweise beeinflusst wird, und dass das Gesamtmuster eines Fehlgebrauchs von einem Absenken des Kopfes ausgeht, das Kopf, Hals und Torso mit einschließt. Um einen solchen Fehlgebrauch zu korrigieren, gibt es in der Alexandertechnik mentale Anweisungen, um das Absenken des Kopfes, ein Stauchen der Wirbelsäule und ein Verengen des Rückens zu verhindern. Diese Anweisungen oder Selbstbefehle können aber erst ihre Wirkung entfalten, wenn die alte gewohnte Reaktion auf einen Reiz gehemmt worden ist. Erst dann kann nämlich eine neue Reaktion an die Stelle der alten treten. Und über die schlechten Gewohnheiten, die bisher völlig unbewusst waren, muss man sich zunächst auch bewusst werden, bevor man sie zum Besseren verändern kann. Deshalb ist es unabdingbar, dass die kinästhetische Wahrnehmung des Einzelnen aktiviert und verbessert wird. So eine kurze Zusammenfassung dessen, was Deborah Caplan in ihrem Buch "Rückenprobleme" über die Alexandertechnik geschrieben hat.
Heute führt die Handschrift nur noch ein Schattendasein auf Notizzetteln, Schulheften, in Tagebüchern und - in Liebesbriefen. Solange es die Liebe zwischen zwei Menschen geben wird, liebe Marie, werden Liebesbriefe mit der Hand geschrieben werden müssen, weil sich der Liebende ja in dem Brief als LIebender offenbaren will und weil nichts mehr die Seelenlage und den Charakter eines Menschen offenlegt als seine Handschrift.
Bis bald
Dein Großvater
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