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Im Brennglas der Alexandertecnik: Sitzen


Liebe Marie,

Sitzen sei das neue Rauchen, heißt es in einer Werbeanzeige für ein rezeptfreies Schmerzmittel in der Westfälischen Rundschau vom 19. Februar, 2021. Dieser Slogan ist nicht nur eine starke Verharmlosung des Rauchens, schädigt es doch von Anfang an den Organismus. Er trifft auch überhaupt nicht den Kern des Problems. Keine Frage, wir sitzen viel, - zu viel, wie es in der Anzeige heißt -, bei der Arbeit, beim Essen, vor den Bildschirmen und im Auto. Und wir tun dies oftmals unter Stress, wenn wir unter Zeitdruck stehen, mit schlechten Nachrichten konfrontiert werden oder von gestressten Menschen umgeben sind - und ich möchte hinzufügen, wenn Angst und Panik geschürt werden, wie gerade jetzt in diesen Zeiten. Das Sitzen allgemein sei sehr oft die Ursache für die Volkskrankheit 'Rückenschmerzen', heißt es dort weiter. In vielen Fällen sei Bewegung dagegen die beste Medizin. Auch eine gezielte Gewichtsreduktion nicht nur durch die Methode FDH, sondern auch durch eine gezielte Auswahl der Lebensmittel - eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, gesunden Fetten und wenig tierischem Eiweiß - könne sinnvoll sein, "um die Belastung für den Rücken und die Gelenke zu mindern".


Das Sitzen selbst ist jedoch nicht grundsätzlich schädigend. Es ist die Art und Weise, wie wir sitzen - wie wir uns beim Sitzen gebrauchen -, ja, wie wir uns schon beim Hinsetzen gebrauchen. "Wenn man einen Freund bittet, sich hinzusetzen, wird man bei genauer Beobachtung des Vorgangs bemerken, dass es in nahezu allen Fällen zu einer unangemessenen Zunahme der Muskelspannung von Rumpf und Beinen kommt. In vielen Fällen werden dazu sogar auch noch die Arme eingesetzt. Die in aller Regel auffälligste Handlung ist jedoch die Veränderung der Kopfstellung: Er wird zurückgeworfen. Gleichzeitig versteift sich der Hals und wird so verkürzt." Dies schreibt F. M. Alexander in "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert", der deutschen Erstübersetzung von MAN'S SUPREME INHERITANCE (BooksonDemand, 2018).


Eines der größten Hindernisse, wenn man lernen will, sich anders hinzusetzen und anders zu sitzen, ist die Macht der Gewohnheit. Um sie zu brechen, müssen wir bestimmte Vorkehrungen treffen, damit wir nicht schon bei dem bloßen Gedanken ans Hinsetzen und Sitzen in unsere alten, gewohnten Handlungsmuster zurückfallen. Zu diesen Vorkehrungen gehört es, jeglichen Gedanken daran, dass man sich hinsetzen will, zu hemmen. Und dazu gehören ganz bestimmte Selbstbefehle.


Aus der Schrittstellung, die Füße in einem Winkel von ungefähr 30° zueinander, das Gewicht mehr auf dem hinteren Fuß, die Hüften soweit wie möglich zurückgeführt, alle Teile des Torsos in ihrer Relation zueinander unverändert lassend, soll der Vorgang dann so ablaufen, wie F. M. Alexander ihn in "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert" beschrieben hat:

  1. "Löschen Sie in Ihrem Kopf die Vorstellung, dass Sie sich hinsetzen wollen! Betrachten Sie jeden einzelnen Schritt des Vorgangs und jeden einzelnen Befehl ganz unabhängig von der abschließenden Konsequenz, die Vorgang und Befehl haben! Um es mit anderen Worten auszudrücken, richten Sie Ihr Augenmerk auf die "Mittel-und-Wege" und nicht auf den "Endpunkt".

  2. Nehmen Sie die Postion ein, die ich schon als richtige Standposition beschrieben habe, wobei das hintere Bein beinahe die Stuhlfläche berühren soll!

  3. Geben Sie den Befehl, den Hals zu entspannen und befehlen sie gleichzeitig den Kopf nach vorne und oben! (....)

  4. Behalten Sie sehr deutlich die allgemeine Vorstellung im Auge, den Körper zu längen! Dies ist die direkte Konsequenz, die sich aus der Befehlskette von Punkt 3 ergibt.

  5. Geben Sie die Befehle, gleichzeitig die Hüften zurückzuführen und die Knie zu beugen, wobei Knie- und Hüftgelenke als Scharniere wirken! Jemand, der sich strikt an diesen Prozess gehalten hat, wird sich nach diesem Befehl dann auf dem Stuhl sitzend wiederfinden. Allerdings sitzt er noch nicht aufrecht, weil er nach vorne geneigt ist, wenn er an dieser Stelle den ganzen Vorgang nicht verdirbt, weil er instinktiv wieder seine alten Befehle erteilt, um in die aufrechte Sitzposition zu gelangen.

Deshalb ist an dieser Stelle eines wirklich sehr wichtig: In der Stellung, in der Sie in den Stuhl gekommen sind, wenn Sie die bisherigen Anweisungen richtig befolgt haben, verharren Sie einen Augenblick. Gehen Sie noch einmal diese Befehle durch: Entspanne den Hals! Der Kopf nach vorne und oben! Die Wirbelsäule längen! Weite den Rücken! Erst dann lehnen Sie sich auf dem Stuhl in die aufrechte Position zurück, die Hüften als Scharniere benutzend, ohne dass Sie den Rücken verkürzen, den Hals versteifen oder den Kopf zurücknehmen."


Wer so zu sitzen kommt und auch seine Koordination und Ausrichtung in der Folge nicht einbüßt, wird im Allgemeinen auch bei langem Sitzen keinerlei Schaden nehmen. Das Sitzen ist nämlich kein Sitzen im herkömmlichen Sinne, bei dem man in sich zusammensackt, um 'es sich gemütlich zu machen', sobald man in Kontakt mit der Sitzfläche eines Sessels, Sofas oder eines Stuhles kommt. Es ist eher ein Art von Stehen mit abgewinkelten Kniegelenken. (Und das ausgerichtete Stehen wiederum ist eher die Vorbereitung, um jeder Zeit losgehen zu können.


Bis bald

Dein Großvater


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