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Im Brennglas der Alexandertechnik: Über die Sprache und das Sprechen


Liebe Marie,

"die Germanistin und Theologin Chiara Battaglia beschäftigt sich in ihrem Podcast 'MACHTWORTE' mit der Frage, wie sich unsere Sprache auf unsere Gesellschaft auswirkt." So kann man es auf der Seite 'Mediacampus' der Westfälischen Rundschau vom 8. April 2021 nachlesen. Sprache sei fundamental für das Zusammenleben der Menschen. Über die Sprache werden u. a. Gefühle und ästhetische Dimensionen vermittelt, aber eben auch Vorurteile, wird die Germanistin dort zitiert. "Die Art, wie wir (über etwas oder jemanden) sprechen, sagt auch etwas darüber aus, wie wir zusammenleben." Je nachdem welche Worte man verwende - etwa im Bereich der Sexualität oder in Genderfragen - könnten sie sehr wohl verletzend sein.


Frau C. Battallia beschäftigt sich in ihrem Podcast damit, wie Wortwahl und Tonfall andere verletzen können. Man kann sich beim Sprechen aber auch selbst Schaden zufügen. Und ich meine damit nicht, dass sich jemand beim Sprechen auf die Zunge beißt. Michael McCallion schreibt in seinem 'Voice Book' dazu folgendes: "Babys können stundenlang schreien, ohne dass sie sich selbst verletzen oder die Stimme verlieren. Auf der anderen Seite kann ein Besuch im Fußballstadion einen kräftg gebauten Mann mit einem nur noch schwachen, kehlköpfigen Krächzen in der Stimme zurücklassen. Warum ist das so, dass das Baby sehr viel effizienter als der Fußballfan darin ist, in einer an Krach ähnelnden Lautstärke zu schreien? - Nun, das Baby, das von einem beliebigen Stimulus zum Schreien animiert wird, tut es einfach. Weil es noch nicht gelernt hat, sich in seiner effizienten Funktionsweise selbst im Wege zu stehen, gebraucht es seinen Körper auf genau die Art und Weise, für die er konstruiert ist, um benutzt zu werden. (...) Die Mechanismen des Fußballfans sind nicht weniger effizient konstruiert als die des Babys und eigentlich sollte auch er in der Lage sein, sein Team für einige Stunden lautstark zu unterstützen, ohne dass er seine Stimme verliert. Wenn er das nicht kann, ist der Grund dafür darin zu suchen, dass er etwas tut oder getan hat, bei dem er die Funktionsweise seiner Stimme gestört hat. Das Baby und der Fußballfan, sie beide machen von ihren Körpern Gebrauch. So könnte man sagen, dass das Baby einen guten Gebrauch hat und der Fußballfan sich irgendwie einen Fehlgebrauch zugelegt hat."


Woran erkennt man einen Fehlgebrauch? Und wodurch zeichnet sich guter Gebrauch aus? Zunächst zur ersten Frage: Wenn in einem menschlichen Organismus an irgendeiner Stelle ein System, ein Mechanismus oder eine Funktion gestört ist, können wir fest davon ausgehen, dass wir es mit einem Fehlgebrauch zu tun haben, bei dem beständig auf schädliche Weise in das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken eingegriffen wird. Warum jemand dieses natürliche Verhältnis stört, erklärt Michael McCallion am Beispiel des Fußballfans so: "Nun, der Fußballfan hat schon sehr viel länger gelebt als das Baby. Sein ganzes Leben war damit ausgefüllt, zu lernen und zu entscheiden, wie er sich so anpassen kann, dass er sich für seinen Lebensentwurf einigermaßen gut gerüstet zeigt und sich ihm auch gewachsen fühlt. Seine ad-hoc Entscheidungen im Geschäft des täglichen Lebens haben in diesem Moment vielleicht durchaus ihren Zweck erfüllt. Auf lange Sicht kann es sich jedoch erweisen, dass ihre Auswirkungen eher weniger hilfreich als hilfreich waren und vom körperlichen Standpunkt aus betrachtet sogar schädlich." F. M. Alexanders Erklärung ist allgemeiner gehalten als die von M. McCallion: Unsere Welt ist unter den gegenwärtigen Zivilisationsbedingungen so komplex und so schnelllebig geworden, dass dem Einzelnen nicht mehr die Zeit bleibt, um sich auf unterbewusste Art und Weise an die sich beständig und schnell verändernden Verhältnisse anzupassen. In der Konsequenz müssen wir also lernen, uns in jeder beliebigen Situation bewusst steuern und kontrollieren zu können, wenn wir nicht das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken stören wollen.


Nun zu der Frage, wodurch sich ein guter Gebrauch auszeichnet. Zunächst einmal sollte uns ganz klar sein, dass "wir es hier nicht mit festen Beurteilungsstandards zu dem zu tun haben, was richtig und falsch ist. Die Grundlagen für eine Beurteilung sind vielmehr relativ und mehr oder weniger indivduell." Dies schreibt F. M. Alexander in: "Der Gebrauch des Selbst" (BooksonDemand, 2021), der Neuübersetzung ins Deutsche von THE USE OF THE SELF. Im Zusammenhang mit dem Gebrauch des Selbst gebe es jedoch einen Standard, den man generell akzeptieren könne: Gesundheit und Wohlergehen und ein zufriedenstellendes Funktionsniveau des Organismus ohne größere Funktionseinbußen. Er schreibt weiter: "Es ist durchaus gerechtfertigt, eine Gebrauchsweise, die mit solch wünschenswerten Verhältnissen einhergeht, wie es Gesundheit und Wohlergehen und ein befriedigendes Funktionsniveau sind, als 'richtig' einzustufen." Und dies sei kein festgelegter Standard im allgemein akzeptierten Wortsinn. "Diese Gebrauchsweise, deren Grundlage eine übergeordnete Kontrolle - die Primärkontrolle - der Mechanismen des Organismus ist, kann nämlich so angepasst und angewendet werden, dass sie allen Lebenslagen gerecht wird."


Diese primäre Kontrolle über das natürliche Vehältnis von Kopf, Hals und Rücken kann mit der Alexandertechnik aufgebaut werden. Und "bei dem Prozess, diese bewusste Steuerung ihres Gebrauchs zu erlangen, entwickeln die Schüler allmählich auch ein höheres Niveau sinnlicher Wahrnehmung von dem, was sie tun, wenn sie Gebrauch von sich selbst machen." Mit diesem Bewusstsein für die sinnlichen Wahrnehmungen "kommen (sie dann) in den Besitz eines Kriteriums, das ihnen selbst anzeigt, ob der Gebrauch, den sie verwenden, richtig oder falsch für den gegebenen Zweck ist und das sie in die Lage versetzt, dies bei der Ausführung der verschiedenen Aktivitäten auch zu beurteilen." Mit diesem Krierium an der Hand kann dann auch der Fußballfan sein Team lautstark anfeuern - nicht solange er will, aber bis seine kinästhetische Wahrnehmung ihm signalisiert, dass er sich nicht mehr angemessen gebraucht.


Bis bals

Dein Großvater


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