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Im Brennglas der Alexandertechnik: Über die Wahrnehmung


Liebe Marie,

"nur ein kleiner Teil dessen, was die Wahrnehmung des Menschen erreicht, findet auch Eingang in unser Bewusstsein. Allerdings hindert dies die zahlreichen nicht bewusst registrierten Wahrnehmungen nicht daran, in uns eine Wirkung zu entfalten.Von unserem Bewusstsein nicht registrierte Signale können unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen, was bedeutet, wir können von diesen Signalen unterwandert werden. (.....) Das Unterbewusste ist ein Teil der Person, deren übergeordneten Interessen es zuarbeitet. So wir uns erspart, alle kognitiven Verarbeitungsprozesse über die manchmal anstrengende und zeitaufwändige Schiene unseres Bewusstseins laufenlassen zu müssen." Dies schreibt Joachim Bauer in seinem Buch "Selbststeuerung - Die Wiederentdeckung des freien Willens (Blessing Verlig, 2015).


Nur ist es mit den verschiedenen Wahrnehmungssystemen des Menschen schon seit langem nicht mehr zum Besten bestellt. Im Laufe des langen Zivilisationsprozesses ist zunächst seine kinästhetische Wahrnehmung völlig verschüttet worden. Der Mensch hat keine Wahrnehmung mehr davon, wo sich die einzelnen Teile seines Organismus in Relation zu den anderen Teilen befinden. Dieses Defizit hat zur Folge, dass miitlerweile auch die anderen Sinne mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen werden: Ihre Funktion hängt nämlich wesentlich davon ab, dass die Teile, die für die entsprechende Wahrnehmung relevant sind, sich auch an ihrem angestammten Platz befinden.


Dass es inzwischen auch mit der visuellen Wahrnehmung, dem Sehen, große Probleme gibt, ist im Stadtbild wahrlich nicht mehr zu übersehen: Die Brillenträger sind inzwischen bei weitem in der Mehrzahl und sie werden auch immer jünger. Und wenn man die Anzahl der Geschäfte, die Hörgeräte verkaufen, zum Maßstab nimmt, ist es um die akustische Wahrnehmung wohl auch nicht viel besser bestellt. Unser Geschacks- und Geruchssinn, die beide eng zusammenarbeiten, werden zunehmend verdorben von dem vielen Zucker und vielen Salz, von den vielen Geschmacksverstärkern und den künstlichen Aromen und den künstlichen Gerüchen in den Lebensmitteln, die kaum mehr den Namen 'Lebensmittel' verdienen.


Da jegliche exakte Sinneswahrnehmung davon abhängig ist, dass die dafür vorgesehenen Teile sich an ihrem angestammten Platz im Organismus befinden, kommt der kinästhetischen Wahrnemung an dieser Stelle eine entscheidende Rolle zu. Erst wenn wir wieder wahrnehmen, wo sich die einzelnen Teile befinden, können wir uns daranmachen, sie so zu verschieben, dass die natürlichen Relationen zwischen ihnen wiederhergestellt sind. Und die dafür notwendigen kinästhetischen Erfahrungen vermittelt der Alexandertechniklehrer mit seinen geschulten Händen, wenn er Verspannungen und Verkrampfungen, Gewebe- und Teileverschiebungen sanft und einfühlsam auflöst.


Solange aber unsere Handlungen weiter unterbewusst gesteuert und geregelt werden, werden auch unsere Reaktionen auf einen Impuls von innen oder von außen von den gewohnten Erfahrungen unserer Sinne überlagert. Deshalb müssen die neuen kinästhetischen Erfahrungen dem Schüler auch zu Bewusstsein gebracht werden, sollen sie in der jeweiligen Situation wirklich zum Tragen kommen. Mit der ganz allmählich wachsenden Fähigkeit zur bewussten kinästhetischen Wahrnehmung, gelingt es dem Schüler mehr und mehr, die verschiedenen Teile dort zu halten, wohin der Alexandertechniklehrer sie verschoben hat. Und wenn sie sich wieder verschoben haben, kann er mit der Zeit durch die Hemmung seiner falschen Reaktionsweisen und mit den Steuerungsbefehlen zum primären Gebrauch von Kopf, Hals und Rücken dann auch selbst dafür sorgen, dass die Teile wieder an ihren angestammten Platz gelangen.


"In keinem anderen Bereich kann wohl besser verdeutlicht werden, wie wichtig richtige sinnliche Erfahrungen (..) sind, als im Bereich der Atmung. Für die Psychomechanik der Atmung ist nämlich die sinnliche Wahrnehmung von überragender Bedeutung." Dies schreibt F. M. Alexander in "Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen" (BooksonDemand, 2018), der Neuübersetzung ins Deutsche von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIVIDUAL. "Bei der großen Mehrzahl der Menschen sind bereits schädliche Defekte festzustellen, wenn sie ihre Atemmechanismen gebrauchen." Man sollte jedoch nicht davon sprechen, dass jemand Probleme mit der Atmung hat, sondern vielmehr davon, "dass er schlecht koordiniert ist" (ebenda). Einen Menschen aber wieder so zu koordinieren, dass u. a. "der obere Brustbereich zum Ende der Ausatmung nicht übermäßig und auf schädliche Weise nach unten wegsackt", kann erst gelingen, wenn der Betroffene wirklich wahrnimmt, dass er seinen Kopf zurückzieht, dass sich dadurch seine Wirbelsäule verbiegt und so das Absacken überhaupt erst ermöglicht wird.


Bis bald

Dein Großvater


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