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Im Brennglas der Alexandertechnik: Der Hörsinn


Liebe Marie,

"viele Menschen hören nicht mehr so gut". Dies wird in einer Werbeanzeige der Hörgeräteakustikerinnung in der Westfälischen Rundschau vom 28. November 2020 festgestellt. Eine Hörminderung sei jedoch keine Krankheit, sondern eine Verschleißerscheinung im Innenohr, wie man sie in den Gelenken auch oft erlebe, heißt es in der Anzeige weiter. Eine Hörminderung trete nicht unbedingt ab einem bestimmten Alter auf. Auch Veranlagungen und Gewohnheiten beeinflussten das Hören. Das Hörvermögen vermindere sich so langsam und so minimal, dass es die Betroffenen zunächst einmal gar nicht bemerken. Und die eigene Einschätzung darüber, ob jemand gut oder schlecht hört, sei meistens eher trügerisch. Die Lösungen der Hörgeräteakustiker für diese Probleme mit dem Hören liegen auf der Hand: Hörtests und die entsprechenden Hörgeräte. Aber dieser Lösungsansatz berücksichtigt einige entscheidende Faktoren nicht.


Verglichen mit dem Sehen sei das Hören eine viel passivere Art der Wahrnehmung. So kann man es bei Thorwald Dethlefsen "Die Krankheit als Weg" nachlesen. Es sei leichter, aktiv wegzuschauen oder die Augen zu schließen, als die Ohren zu verschließen. Wer schlecht hören könne, wolle nicht gehorchen, so sein Credo. Und nicht die Lautstärke an sich sei das schädigende Element, sondern vielmehr der psychische Widerstand des Betroffenen gegen den Lärm. Das Nicht-hereinlassen-wollen führe schließlich dazu, dass man nicht mehr hereinlassen könne. Zudem gehöre Schwerhörigkeit, von der "die meisten alten Menschen in einem gewissen Grade betroffen sind, genauso wie schlechtes Sehen, Steifheit und Unbeweglichkeit zu den somatischen Alterssymptomen." Sie alle seien Ausdruck verlorengegangener Anpassungsfähigkeit und Flexibilität im Alter. Für diese Altersgruppe seien sie zwar "typisch, aber nicht notwendig".


Ich will den Inhalt des letzten Satzes noch eimal klar und deutlich wiederholen: Es ist nicht zwangsläufig so, dass man im Alter schwerhörig, steif und unbeweglich wird oder dass man an Sehkraft einbüßt! Dies - muss - nicht - sein! Wenn es nicht zwangsläufig so ist, was entscheidet dann darüber, ob jemand die typischen Alterssymptome entwickelt? Mit einer bewussten Steuerung und Kontrolle des eigenen Gebrauchs anstelle einer instinktiven können Anpassungsfähigkeit und Flexibilität, Sehkraft und Hörvermögen bis zum Lebensende erhalten werden. Und sie können prinzipiell auch zu jeder Zeit wiedererlangt werden, wenn sie im Laufe des Lebens verloren gegangen sind: Den eigenen Gebrauch bewusst zu steuern und zu kontrollieren, kann tatsächlich in jedem Alter erlernt werden. Dass ein spätes Erlernen durchaus mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein kann, hat auch F. M. Alexander gesehen. Auch deshalb war es sein Ansatz, den Menschen schon sehr früh seine Technik zur Entwicklung einer bewussten Steuerung und Kontrolle nahezubringen, am besten schon im Vorschulalter. Seine kleine Schule in Penhill, England, richtete sich sowohl an ganz junge Schüler als auch an die Jugendlichen.


Mit der Technik, die F. M. Alexander entwickelt hat, der Alexandertechnik, wie sie allgemein genannt wird, gelangen nach und nach alle Teile des menschlichen Organismus wieder an ihren in Relation zu den anderen Teilen angestammten Platz. Diesen Sachverhalt hatte F. M. Alexander nämlich aufgedeckt: Wenn sich die einzelnen Teile des Organismus nicht an ihrem angestammten Platz befinden, werden Tür und Tor für die verschiedensten Funktionseinschränkungen im Organismus geöffnet. Und auch das Hörvermögen kann so Schaden nehmen, wenn sich neben vielen anderen Teilen auch die Teile des Hörapparats verschoben haben.


Bevor aber die Teile über eine bewusste Steuerung und Kontrolle wieder an den Platz gelangen können, an dem sie hingehören, müssen die nachfolgend aufgelisteten Bausteine der Alexandertechnik zum Einsatz gebracht worden sein:

  • Der Betroffene muss gelernt haben, seine falschen Reaktionen auf Reize oder Impulse von außen oder innen zu hemmen. Diese fehlerhaften Reaktionen haben nämlich zur Verschiebung der Teile aus ihrer ursprünglichen Position geführt und halten sie an der falschen Stelle fest. Erst mit der Hemmung der falschen Reaktionen hat ein Alexandertechniklehrer überhaupt eine Chance, die veschobenen Teile bei seinem Schüler wieder an ihre angestammte Position zu bringen.

  • Im Verlauf dieses Lernprozesses wird es dem Schüler mehr und mehr gelingen, die Verschiebungen auch wahrzunehmen. Im Laufe des Zivilisationsprozesses hat der Mensch nämlich mehr und mehr die Fähigkeit zur kinästhetischen Wahrnehmung verloren. Dieser Verlust, der mit den Beschränkungen der anderen Systeme zur Wahrnehmung einherging, hat es überhaupt erst möglich gemacht, dass sich die Teile verschieben konnten.

  • Mittels der Primärkontrolle des Verhältnises zwischen Kopf, Hals und Rücken ist der allgemeine Gebrauch des Schülers so zu verändern, dass der Schüler dauerhafte Verschiebungen nicht länger zulässt, bzw. dass er die fixierten Posen wieder aufgibt.

"Gutes Hören ist Einstellungssache." So heißt es in der Überschrift der Werbeanzeige der Hörgeräteakustiker und damit soll gesagt werden, dass die Hörgeräte gut eingestellt sein müssen, wenn sie ihre Wirkung voll entfalten sollen. Tatsächlich steckt in dieser Werbeaussage mehr Weiheit, als auf den ersten Blick zu vermuten wäre: Gutes Hören setzt voraus, dass sich die für das Hören relevanten Teile - und nicht nur diese - an der richtigen Stelle befinden.


Bis bald

Dein Großvater





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