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Im Brennglas der Alexandertechnik: Depression im Kinder- und Jugendalter


Liebe Marie,

passend zur dunklen Jahreszeit titelt die Westfälische Rundschau am 22. November 2019 auf ihrer Seite Verbraucher: "Zwei Prozent der Schüler depressiv." Jedes vierte Kind sei inzwischen psychisch auffällig. Gründe für die steigenden Erkrankungszahlen gebe es viele, so Prof. Stefan Bender von der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik Köln: Stress in der Schule, neue Technologien, zur Schaustellung irrealer Schönheits- und Lebensideale auf Instagram und Co., das ständige Vergleichen in den Sozialen Medien oder ein instabiles soziales Umfeld. Ein DRK-Report zu diesem Thema führt zusätzlich noch chronische Erkrankungen, Adipositas, Schmerzen und Eltern auf, die selbst schon seelisch krank sind. Obwohl die Statistik für 2017 bereits 240.000 Kinder im Alter von 10 bis 17 Jahren mit psychischen Erkrankungen wie Bulimie Depressionen, Panikattacken, Borderline oder Angststörungen ausweist, geht der Report davon aus, dass wir tatsächlich nur die Spitze des Eisbergs zu Gesicht bekommen.

Depressionen und Angststörungen werden von der Gesellschaft im Allgemeinen als eine Störung der Psyche wahrgenommen und von der Medizin auch so mit Medikamenten und Therapien behandelt. Auch wenn Julia Ebhardt von der Deutschen Depressionshilfe von "krankhafter Unruhe und Aggression" als körperlichen Symptomen spricht, werden sie von ihr nur als Symptome für eine Erkrankung der Psyche angesehen. Der körperliche Aspekt des Krankheitsbildes Depression, der der Schlüssel zu jeglicher Verhaltensänderung ist, bleibt unbeachtet: Der niederdrückende (depressive) Gebrauch des Betroffenen bei allem, was er oder sie tut.

Dabei gibt uns das Wort "depressiv", das vom Lateinischen DEPRIMERE - niederdrücken, niederziehen abgeleitet wird, selbst einen Hinweis. So wie eine Münze zwei Seiten hat, hat es auch zwei Seiten, wenn jemand eine Depression entwickelt hat, eine psychische und eine physische. Wie es keine Münze mit nur einer Seite gibt, gilt auch für die Depression - tatsächlich für jede Erkrankung -, dass sie sich mental und körperlich manifestiert. So wird man bei einem depressiven Menschen immer feststellen, dass die psychische Komponente der Erkrankung von einem körperlichen Verhaltensmuster begleitet ist, bei dem der Betroffene sich niederdrückt, sich im wahrsten Sinne des Wortes herunterzieht. Eingezogener Kopf, angespannter Hals, hängende (bei einer Depression) oder hochgezogene Schultern (bei einer Angststörung), eingesunkene Statur, niedergeschlagener Blick, fehlende Körperspannung, schlurfender Gang sind Merkmale, die gehäuft bei einem depressiven Menschen anzutreffen sind.

Dies hat F. M. Alexander aber nachgewiesen: Wenn sich der jeweilige Gebrauch des Einzelnen so verändert, dass der Betroffene nicht länger in das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken eingreift, werden sich über kurz oder lang in allen anderen Bereichen des Organismus -

F. M. Alexander spricht in diesem Zusammenhang gerne von einem geistig-körperlichen Organismus - normale, gesunde Verhältnisse einstellen. Diesen Zusammenhang zwischen der Primärkontrolle, wie er es genannt hatte, und den gesunden Verhältnissen im menschlichen Organismus aufgedeckt zu haben, war schon eine großartige Leistung. Um seiner eigenen Stimmprobleme Herr zu werden, wollte und musste er zudem eine Verfahrensweise entwickeln, mit der er lernen konnte, die Primärkontrolle so zum Einsatz kommen zu lassen, dass sich die Wirbelsäule wieder zu ihrer natürlichen Länge aufrichtet und der Rücken wieder seine natürliche Breite erlangt.

Dieses Verfahren ist heute unter dem Namen Alexandertechnik bekannt. Im Wesentlichen beruht dieseTechnik auf der Hemmung der schädlichen Denk- und Bewegungsmuster, auf der Wiederherstellung einer zuverlässigen sinnlichen Wahrnehmung bzw. der Installation einer zuverlässigen kinästhetichen Wahrnehmung, auf ganz bestimmten Selbstbefehlen zur Primärkontrolle, auf den geschickten Manipulationen eines kompetenten Lehrers und schließlich auf einer richtigen Primärkontrolle.

In einem Video auf YouTube mit dem Titel "A Short Introduction to the Alexander Technique by Marjorie Barstow" erklärt und demonstriert Marjorie Barstow, die als erstes von F. M. Alexander zur Alexanderlehrerin ausgebildet worden ist, die Technik so: "Tatsächlich ist Alexanders Arbeit genial einfach. Auf extreme Weise ist es nur eine Andeutung.Genau mit dieser Leichtigkeit gibt er aber der Energie eine neue Richtung, so dass der Druck nach unten einfach nicht mehr weiter existieren kann. Ganz behutsam legt er seine Hände an, die eine Hand so sanft wie möglich hier (Marjorie legt ihre Hand unter ihr Kinn.) und die andere Hand ganz sanft hier hinten. (Sie legt ihre andere Hand an ihren Hinterkopf.)

Mit seinen Händen bringt also der Alexanderlehrer seinen Schützling dazu, - zunächst nur für den Moment, später dann auch immer beständiger - den Kopf aufzurichten, den Hals zu entspannen, die Schultern nicht sinken zu lassen, seine Statur nicht zu verkürzen, den Blick nicht abzusenken und anderes mehr. Wenn nun die Energie aufwärts gerichtet wird, kann sich all die Schwere in den Bewegungen auflösen. Und die Selbstbefehle zur Primärkontrolle, die den Schüler von nun an sein Leben lang begleiten, geben seinem Denken einen neuen Inhalt, was mehr und mehr die depressiven Gedanken ersetzt. In "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert" (BooksonDemand, 2018), der deutschen Erstübersetzung von MANS' SUPREME INHERITANCE schreibt F. M. Alexander: "Bei all den Bemühungen, unsere mentalen Gewohnheiten zu verstehen und auch zu kontrollieren, besteht die erste und einzig wirkliche Schwierigkeit darin, die anfängliche Trägheit im Denken zu überwinden. Wenn dies erst einmal gelungen ist, kann die jeweilige persönliche Gewohnheit bekämpft werden. Das Gehirn ist es gewohnt, in ganz bestimmten Bahnen zu denken. Das Denken spurt sozusagen das Gehirn, so wie man die Loipe beim Skilanglauf spurt. Wenn das Gehirn dann aktiviert wird, benutzt es die gewohnten, bestens eingefahrenen Pfade. Wenn es gelingt, das Denken aus der gespurten Loipe zu heben, ist es doch erstaunlich, wie einfach es gelenkt werden kann."

Und die Hände des Lehrers sind es auch, die für die neuen sinnlichen Erfahrungen sorgen, indem der Lehrer seinen Schützling dazu anhält, die Reaktion auf jeglichen Bewegungsreiz zu hemmen, und für ihn das jeweilige Körperteil bewegt. In "Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen" (BooksonDemand, 2018), der Neuübersetzung ins Deutsche von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIVIDUAL, schreibt F. M. Alexander: "Die neuen Erfahrungen werden stattdessen durch den Einsatz der Lehrerhände vermittelt." Der Schüler selbst dürfe sich solange nicht um das kümmern, was die jeweilige "Zielsetzung" ist, "bis die neuen Erfahrungen sich eingeschliffen haben. Er solle sich stattdessen nach und nach die neuen Steuerungsbefehle einprägen. Diese neuen Steuerungsbefehle sind nämlich die Vorbereiter der Mittel-und-Wege, mit denen das jeweilige 'Ziel' eines Tages erreicht werden wird. Nicht heute oder morgen und auch nicht übermorgen, aber der Tag wird kommen! Dann wird der Schüler in der Lage sein, die jeweilige Handlung eigenständig zu wiederholen, und das zu jeder Tages- und Nachtzeit, unter allen Umständen und mit der Präzision eines Uhrwerks. (....) Ein auf diese Weise strukturierter Prozess, der von einem Schüler tatsächlich solange keine eigenständige Handlung verlangt, bis sein Lehrer den Weg dafür bereitet hat, wird sicherstellen, dass die Erfahrungen des Schülers zufriedenstellend sein werden, mit nur wenigen Ausnahmen. Auf diesem Weg werden das Koordinationsniveau und das Niveau der sinnlichen Wahrnehmung angehoben und derartig zufriedenstellende Verhältnisse hergestellt, dass der Schüler die Handlung schließlich mit spielerischer Leichtigkeit ausführen kann. Die Erfahrungen, die der Schüler dann machen wird, stärken sein Selbstvertrauen."

Selbstvertrauen sei der Faktor, der das Risiko einer psychischen Erkrankung kleinhält, heißt es in dem vorliegenden Zeitungsartikel. Und in "Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen" heißt es dazu: "Der Aufbau von Vertrauen und Zuversicht ist ein für die Entwicklung eines Menschen überaus entscheideneder Faktor. Vertrauen und Zuversicht stellen sich bei einer Lernmethode ein, die dem Schüler die richtigen Mittel-und-Wege an die Hand gibt, mit denen er grundsätzlich ein Ziel angehen kann. Mit dieser Lernmethode gelangt er in den Besitz dieser Mittel-und-Wege, noch bevor er ein Ziel in Angriff nimmt. In der Folge wird jeder ausgeführte Versuch dann von vornherein mehr oder weniger erfolgreich sein. Reihenweise wird er daraufhin befriedigende geistig-körperliche Erfahrungen machen. Unbefriedigende Erfahrungen sind die Ausnahme. Im Zuge dieser Erfahrungen stellen sich Zuversicht und Vertrauen, die auf Denkprozessen beruhen, und ein Glückszustand ein, mit denen der 'vollkommene Aufstieg' des Menschen auf die Ebene des Bewusstseins verknüpft ist."

Wer gelernt hat, sich und seinen Organismus bewusst zu steuern und zu kontrollieren, entwickelt in der Tat ein Selbstvertrauen, das durch (fast) nichts zu erschüttern ist und das soviel mehr trägt als z. B. die falschen Versprechungen, die die Mode heutzutage nicht nur den Jugendlichen macht.

Bis bald

Dein Großvater

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