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Im Brennglas der Alexandertechnik: "Ungesunde Haltung"


LIebe Marie,

"schweres Heben, zu langes Sitzen, Arbeit im Stehen oder Knien oder auf engem Raum: Etwa jeder zweite Beschäftigte in Deutschland arbeitet einer Studie zu Folge häufig in ungesunden Körperhaltungen", heißt es in einer Zeitungsnotiz der Westfälischen Rundschau vom 1. Juli 2019.

Glücklicherweise brauchen wir nicht mehr z. B. über die Knochenarbeit in den Bergwerken des 18./19. Jahrhunderts zu reden. Wir müssen aber reden über das Sitzen an der Scannerkasse; über das stundenlange Sitzen vor den Bildschirmen, ob privat oder in den Büros; über das Sitzen im Auto bei langen Fahrten; über das Stehen hinter der Ladentheke oder am Bügelautomaten; über das Eingepfercht-Sein in einem Verkaufsstand, und, und, und.

Aber zwei Hinweise vorweg: Eine 'richtige' Position oder Haltung könne es nicht geben, weil eine solche Position eine fixierte sei. "Und jemand, der sich in einer fixierten Position hält, kann nicht wachsen, so wie wachsen hier (in der Alexandertechnik) verstanden wird. Was sich heute für jemanden als eine richtige Position darstellt, kann für ihn eine Woche später nicht die richtige sein", dies schreibt F. M. Alexander in: Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen (BooksonDemand, 2018), der Neuübersetzung ins Deutsche von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIVIDUAL. Nicht weniger wichtig ist der zweite Hinweis: Nicht Stehen oder Sitzen - in diese Kategorie von Tätigkeiten gehören auch das Gehen und Laufen, das Sich-Setzen, das Sich-Hinstellen, das Knien und das Liegen - an sich sind schädlich, sondern die Art und Weise, wie wir es tun.

In: Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert (BoD, 2018), der Erstübersetzung von MAN'S SUPREME INHERITANCE ins Deutsche, schreibt F. M. Alexander über das Stehen u. a. folgendes: "Es kann so etwas wie eine richtige Standposition, die für alle gleich wäre, nicht geben. Die eigentliche Frage ist nicht die nach der richtigen Position, sondern die nach der richtigen Koordination der beteiligten Mechanismen. Mehr noch: Jeder, der die Fähigkeit erlangt hat, die richtige Koordination herbeizuführen, kann die Teile seines Körpers so anpassen, dass sie den Erfordernissen nahezu jeder Position genügen.(....) Die fortlaufende Justierung der Körperteile ohne übertriebene körperliche Anspannung ist mehr als nur wohltuend."

Im Zusammenhang mit dem Stehen schreibt er zuvor dieses: "Der Mensch kann solange nicht eine Position stabilen Gleichgewichts einnehmen, die auch eine perfekte Beweglichkeit garantiert, wie die Füße nicht so gestellt sind, dass sie einen stabilen Stand gewährleisten und gleichzeitig Angel- und Drehpunkt sind. Unter diesem Gesichtspunkt ist ein Winkel von 45°, den die Füße zueinander bilden sollen, eine Basis, wie sie perfekter nicht sein kann. Alle anderen aufrechten Positionen werden in der Tendenz dazu führen, dass man ein Hohlkreuz ausbildet, den Bauch herausstreckt und den Rücken verkürzt. Und die Defekte werden umso gravierender, je weiter sich der tatsächliche Winkel vom Ideal entfernt." Weiter führt er für eine richtige Standposition aus: "Die Füße sind so zu setzen, dass sie als Basis und als Dreh- und Angelpunkt die größte Wirkung erzielen können (45°). So wird die Lage von Armen, Beinen und Rumpf so verändert, dass sie von dort aus auf richtige Weise beeinflusst werden können und dass die Schwerkraft ihnen wirklich helfen kann. Hauptsächlich sollte das Gewicht des Körpers auf dem hinteren Fuß ruhen. Den Hüften sollte es erlaubt werden, so weit wie nur möglich zurückzufallen, ohne dass das Gleichgewicht, das durch die Fußstellung bestimmt wird, verändert und ohne dass der Körper absichtlich nach vorne geschoben wird...........".

Aber Vorsicht ist geboten: Wer versucht, die einzelnen Details der Beschreibung des Stehens auf direktem Wege umzusetzen, wird ganz bestimmt Schiffbruch erleiden und sich zu den vielleicht bereits vorhandenen Beschwerden - allgemein bekannt sind Muskel- und Gelenkprobleme, Müdigkeit, schlechtes Wohlbefinden, Kreislaufprobleme, Krampfadern, Muskelverspannungen, Stoffwechselerkrankungen, Rücken- und Nackenschmerzen, Herzinfarkt und auch Krebs - zusätzliche Probleme einhandeln. Es wird wahrlich nicht genügen, die Füße krampfhaft in einem Winkel von 45° zueinander zu stellen und zu halten. Dieser Winkel wird sich vielmehr wie von selbst in einem Prozess indirekt nach und nach ergeben, bei dem die sinnliche Wahrnehmung so geschult wird, dass sich der Einzelne wieder auf sie verlassen kann; bei dem der Einzelne lernt, seine falschen Verhaltensweisen zu hemmen; bei dem er lernt, sich so zu gebrauchen, dass er nicht in das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken eingreift, und manches andere mehr. Dies führt dann zu einer Koordination aller Teile des menschlichen Organismus, die es verhindert, dass er im Laufe des Tages von der Schwerkraft mehr und mehr nach unten gezogen wird. Erst wenn der Schwerkraft nichts entgegengesetzt wird, wenn die primäre Kontrolle von Kopf, Hals und Rücken falsch ist, wenn wir uns sozusagen "hängen lassen", kann es zu den Belastungen beim Stehen kommen, die oben beklagt werden.

Was nun das Sitzen betrifft, nimmt das "Unheil" bereits mit dem "Sich-Setzen" seinen Lauf. F. M. Alexander schreibt dazu: "Dieselben Regeln, die für das Stehen gelten, sind im Prinzip genauso anwendbar, wenn sich jemand hinsetzt oder sich von einer Sitzgelegenheit erhebt. Nur wenige Menschen haben überhaupt eine richtige Vorstellung von den "Mitteln-und-Wegen" für diese Handlungen. Sie haben keine Vorstellung davon, wie die einzelnen Teile, die an den Handlungen beteiligt sind, richtig gebraucht werden, obwohl wir uns unzählige Male am Tag hinsetzen und wieder aufstehen. Dabei könnten diese Tätigkeiten nach meinem Verständnis mit einer so offensichtlichen Leichtigkeit ausgeführt werden. (.....) In nahezu allen Fällen wird es aber zu einer unangemessenen Zunahme an Muskelspannung von Rumpf und Beinen kommen. In vielen Fällen werden sogar die Arme eingesetzt. Die in der Regel häufigste Handlung ist jedoch die Veränderung der Kopfstellung: Er wird zurückgeworfen. Gleichzeitig versteift sich der Hals und wird verkürzt."

Wenn die Sitzfläche dann unter Anwendung der richtigen Methode erreicht worden ist, stellt sich ein neuerliches Problem. Der Betroffene sitzt noch nicht aufrecht, sondern nach vorne geneigt. Wenn er den ganzen Vorgang an dieser Stelle nicht verderben wolle, müsse er verhindern, dass er instinktiv und unterbewusst wieder seine alten Befehle erteilt, um in die aufrechte Sitzposition zu gelangen. Um dies zu verhindern, müsse er einen Augenblick in der Position verharren, in der er auf die Sitzfläche gekommen ist, und erneut die Befehle zur Primärkontrolle memorieren: Entspanne den Hals! Der Kopf nach vorne und oben! Die Wirbelsäule längen! Den Rücken weiten! Erst dann solle er sich auf dem Sitzplatz in die aufrechte Position zurücklehnen, indem er die Hüften als Scharniere benutzt und ohne dass er den Rücken verkürzt, den Hals versteift und den Kopf zurücknimmt, schreibt F. M. Alexander in seinem ersten Buch Ein Vermächtnis der Evolution........

Selbst wenn die Menschen von heute diesen Vorgang bis dahin gut hinbekommen haben, was eher die Ausnahme als die Regel ist, werden sie spätestens jetzt aufhören, ihre Aktivität bewusst zu steuern und zu kontrollieren, weil sie der Meinung sind, dass mit Erreichen der Sitzfläche die Sache für sie erledigt ist. Sie berücksichtigen dabei aber nicht, dass auch solche Aktivitäten wie Sitzen, Stehen oder Liegen, solange einer bewussten Steuerung und Kontrolle bedürfen, bis eine andere Tätigkeit aufgenommen wird, weil der Instinkt heutzutage in unserer schelllebigen Zeit seine Wirkungskraft weitgehend verloren hat. Das Ergebnis fehlender bewusster Steuerung und Kontrolle ist jener Zusammenbruch der Koordination und Ausrichtung, der so oft zu beobachten ist: Die Menschen sinken auf dem Stuhl, Sessel oder Sofa in sich zusammen, verbiegen und verkürzen die Wirbelsäule, versteifen den Hals, ziehen den Kopf zurück und nennen das auch noch bequem und entspannend. Das, was sie entspannen nennen, ist aber mehr ein Erschlaffen, das auf Kosten von anderen Teilen des Organismus geht, die übermäßig angespannt, verspannt oder gar verkrampft werden, ohne dass sie es merken. Und sie merken es nicht, weil das Niveau ihrer sinnlichen Wahrnehmung heute bei Weitem nicht mehr den Anforderungen entspricht.

Wenn das Stehen oder Sitzen einer bewussten Steuerung und Kontrolle unterliegt, gibt es dabei nichts Fixiertes, alles ist fließend und harmonisch miteinander verbunden und auch kein Teil des Organismus wird übermäßig belastet. Dies sind in der Tat ideale Voraussetzungen, um auch bei langem Sitzen oder Stehen von Rückenschmerzen, schweren Beinen und all den anderen möglichen Beschwerden verschont zu bleiben.

Bis bald

Dein Großvater

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