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Im Brennglas der Alexandertechnik: Die Fähigkeit zur Anpassung

Liebe Marie,

die zunehmende Verbreitung von Resistenzen sei ein immenses Problem - in der Medizin wie in der Landwirtschaft. Die Mittel gegen Insekten und unerwünschte Pflanzen verlieren mehr und mehr ihre Wirkkraft. Es habe den Anschein, dass "die Evolution der Insekten und Unkräuter unsere Fähigkeiten übertrumpfen könnte, immer neue Chemikalien und Kontrollmechanismen zu finden."

Auch seien Resistenzen der verschiedensten Pilze gegen Fungizide ein steigendes Risiko für die menschliche Gesundheit. Die Sterblichkeitsrate bei Pilzerkrankungen sei im weltweiten Mittel inzwischen höher als bei Malaria und Brustkrebs und sei vergleichbar mit der Sterblichkeitsrate bei Tuberkulose. Pilze vermehrten sich rasend schnell und bildeten so rasch Resistenzen. Sowohl "im klinischen Bereich als auch in der Landwirtschaft gebe es inzwischen pathogene Pilze, die gegen alle dort verwendeten Klassen von Fungiziden unempfindlich seien." Zudem gebe es mehr alte Menschen, Krebsüberlebende und mehr Patienten, denen ein fremdes Organ tranplantiert wurde. Und diese Personengruppen seien extrem anfällig für Pilzerkrankungen, was eine weitere Zunahme des Fungizideinsatzes erforderlich mache. Pilzerkrankungen könnten verantwortlich sein für Blutvergiftungen, Harnwegs- und Wundinfektionen.

Soweit die Zusammenfassung eines Artikels in meiner Tageszeitung vom 18. Mai 2018.

Das, was der Mensch in seiner Hybris mit dem negativ gemeinten Begriff Resistenz belegt, ist nichts anderes als das Prinzip, mit dem es der Evolution gelungen ist, unsere Gegenwart zu schaffen: das Prinzip der Anpassung. Pflanzen, Insekten, die Tiere insgesamt und auch der Mensch haben sich durch beständige Anpassung zu dem entwickelt, was sie heute sind. Was sich nicht anpassen konnte, war dem Untergang geweiht. So sind z. B.die Dinosaurier vor Urzeiten ausgestorben. Und so könnte es sein, dass die Bienen aussterben werden, wenn sie sich nicht noch schnell an die Verhältnisse anpassen, die der Mensch mit dem übermäßigen Einsatz der Pestizide geschaffen hat.

Und der Mensch? Wie ist es um seine Fähigkeit zur Anpassung bestellt? Beständige Anpassung hat den Menschen zur "Krone der Schöpfung" gemacht. Aber zurzeit ziehen am Horizont der weiteren Entwicklung mächtige Gewitterwolken auf. Die Verhältnisse verändern sich unter den augenblicklichen Zivilisationsbedingungen so rasend schnell, dass der Mensch ihnen mit seiner bisherigen Art der Anpassung auf der Ebene des Unterbewusstseins nicht mehr gewachsen ist. Ja, man muss sogar sagen, dass die unterbewusste Anpassung auf der ganzen Linie versagt. Sie ist bei Weitem zu langsam. Beständig hinkt der Mensch den jeweiligen sich schnell verändernden Verhältnissen hinterher. Das rasante Tempo der Veränderungen lässt es nicht zu, dass sich die unterbewussten Pläne zur Anpassung in der Realität als sinnvoll oder als Fehlschlag erweisen können. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen können wir uns aber wahrlich ein Herumexperimentieren nicht mehr erlauben.

Beim Menschen manifestiert sich eine gelungene oder eine misslungene Anpassung auf einer niedrigen Ebene als eine "gute" oder eine schlechte Gewohnheit. "Gut" ist eine Gewohnheit, wenn sie im Menschen für gesunde Verhältnisse zuträglich ist. Was heute eine misslungene Anpassung anrichten kann, zeigt sich in den schlechten Körpergewohnheiten, die heutzutage so prägend für das menschliche Erscheinungsbild sind: vorgeschobener Bauch, Hohlkreuzbildung, Rundrücken, Buckelbildung, herabhängende oder hochgezogene Schultern, eine gestauchte und verkürzte Wirbelsäule, einwärtsgedrehte Füße, allgemein ein Zustand schlechter Koordination der verschiedenen Körper- und Organismusteile und vieles andere mehr. Mit der Zeit wachsen sich diese schlechten Gewohnheiten dann zwangsläufig zu den verschiedenen Krankheiten aus.

Unterbewusste Anpassung wird also unserer Zivilisationslage nicht mehr gerecht. Wir müssen deshalb umschwenken auf eine bewusste Steuerung und Kontrolle unserer Gewohnheiten. In der Tat ist die Veränderung einer schlechten Gewohnheit auf unterbewusster Ebene kaum möglich. Wenn es doch einmal zu einer solchen Veränderung kommt, können wir sicher sein, dass sich ein oder mehrere neue schlechte Gewohnheiten bilden, die weitaus schädlicher sein können als die ursprüngliche. Nein, liebe Marie, eine schlechte Gewohnheit kann allein auf der Ebene des Bewusstseins beseitigt werden, immer ausgehend von der richtigen Primärkontrolle zur Steuerung des ungestörten Verhältnisses von Kopf, Hals und Rücken. Ein Mensch wird sich eine solche Primärkontrolle aber nur erarbeiten können, wenn die schlechte Gewohnheit unterdrückt oder gehemmt wird, wie der Fachausdruck der Alexandertechnik lautet, und die hinter der schlechten Gewohnheit stehende Denkgewohnheit aufgedeckt und verändert worden ist.

Insbesondere müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass mit einer isolierten Betrachtung eines Problems eine Lösung gefunden werden könnte, die nachhaltig wäre: So hatten Forscher schon 1914 eine Resistenz gegen Insektizide dokumentiert und auf die damit verbundenen Gefahren hingewiesen. Es hat sich ein Wettlauf zwischen den "Pflanzenparasiten" und immer neuen chemischen Wirkstoffen zur Bekämpfung der "Parasiten" entwickelt. Und der Ausgang des Wettlaufs ist gewiss: Das Gesetz der Anpassung wird letztendlich den Sieg der Natur gegen die künstlichen Produkte der Chemie erzwingen. Dies zeigt sich nicht zuletzt am Beispiel des Glyphosats, das großflächig auf die Mais-, Soja- und Baumwollfelder aufgebracht wird. Das Herbizid hat sehr vielen "Schadpflanzen" den Garaus gemacht, aber eben nicht allen. Mehr als 40 "unerwüschte" Pflanzen können inzwischen die Felder auch deshalb überwuchern, weil die am Glyphosat eingegangenen Pflanzen ihnen nicht länger ihren Lebensraum streitig machen. Und das Abwehrsystem der zur Glyphosatakzeptanz genmanipulierten Baumwoll-, Mais- und Sojapflanzen ist so geschwächt, dass sie diesen "unerwüschten" Pflanzen kaum noch etwas entgegenzusetzen haben.

Und nicht anders ergeht es dem Menschen, dessen Immunsystem durch Nicht-Gebrauch mehr und mehr an Leitungsfähigkeit verloren hat, weil seine Aufgaben von Antibiotika und anderen Medikamenten übernommen worden sind. Es ist unsere isolierte Betrachtungsweise der Einzelprobleme, mit der wir "den Karren in den Dreck gefahren haben" und mit der wir auch weiterhin immer tiefer in den Morast geraten.

"Und dann stehst Du ganz verdattert vor der Dunkelheit in Dir

zeichnest mit dem Daumen klitzekleine Kreise,

sehr verstört und sehr verängstigt bekennst Du etwas stier:

Mensch, ich hab' ja falsch gedacht!"

Diese Strophe ist aus einem Lied von Konstantin Wecker. Es der letzte Vers, auf den es mir hier besonders ankommt: Ja, es wäre wirklich schon viel erreicht, wenn sich die Erkenntnis, falsch gedacht zu haben, durchsetzen würde. Eine solche Erkenntnis ist nämlich der notwendige erste Schritt, um den Weg für ein Umdenken frei zu machen.

Bis bald

Dein Großvater

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