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IM BRENNGLAS DER ALEXANDERTECHNIK: Unwillkürliche Bewegung


Liebe Marie,

in "Die Konstante im Fluss des Lebens" (BooksonDemand, 2019), der Neuüberstetzung ins Deutsche von F. M. Alexanders THE UNIVERSAL CONSTANT IN LIVING gibt es einen mit "Nicht-Tun" überschriebenen Abschnitt, der leicht auf Unverständnis stoßen kann, weil die Aussagen in diesem Abschnitt für Menschen, die es gewohnt sind, zielorientiert zu handeln, mysteriös oder gar verworren klingen müssen, sind die Aussagen ihrem Veständnis nach doch weit von den Anforderungen ihres täglichen Lebens entfernt. Vielleicht bringt das, was Dore Jacobs in ihrem Buch "Die menschliche Bewegung" über die willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen schreibt, etwas Licht in dieses Dunkel. "Die Mehrzahl unserer Bewegungen verläuft unwillkürlich. Unwillkürlich sind zunächst all die mannigfachen Reflexbewegungen, die uns Tag und Nacht gegen schädigende Einwirkungen von außen schützen und den Bedingungen der Umwelt anpassen: Der Lidreflex, mit dem sich das Auge automatisch gegen Fremdkörper und überstarke Lichtreize abschließt; der Pupillenreflex, mit dem durch Vergrößern und Verkleinern des 'Fensters' die Menge des einfallenden Lichtes geregelt wird; der Stellreflex der Wadenmuskulatur, mit dem bei Berührung des Bodens das Fußgelenk gestreckt wird; das Herumwälzen im Schlaf, wenn ein Nerv oder ein Gefäß gedrückt wird; das Husten und Niesen, mit dem der Atemorganismus Fremdkörper ausstößt; das Stöhnen und Schreien, mit dem ein Schock, eine Störung der Lebenstätigkeit durch Schmerz, Schreck usw. überwunden wird; die zahllosen Gleichgewichtsreflexe des Rumpfes und der Glieder beim Sitzen, Klettern, Stehen, Heben, Gehen auf unebenem Gelände und bei allen Kunstbwegungen; das 'geschickte' Fallen, wenn das Gleichgewicht zerstört ist; die fortwährend spielenden Gleichgewichtsreflexe des Auges, die verhindern, dass bei jeder Kopfbewegung das Sehbild mitschwankt; die Bewegungen des Kehlkopfes beim Sprechen und Singen; das Mienenspiel bei Gemütserregungen", und, und, und.


Und auch bei den übrigbleibenden Bewegungen, die wir als willkürlich bezeichnen, spielen unwillkürliche Reflexbewegungen eine nicht zu unterschätzende Rolle. So "geschieht die Auswahl der Muskeln, die bei einer (willkürlichen) Bewegung mitwirken, und die Art ihres Zusammenspiels, die Koordination, unwillkürlich. (...) Die bloße Bewegungsabsicht genügt, um das unwillkürliche Muskelspiel in Gang zu setzen. (..) Und auch der richtige Spannungsgrad der Muskulatur und das richtige Spannungsverhältnis zwischen den bewegenden Muskeln und ihren Antagonisten stellen sich unwillkürlich ein." - Man kann es tatsächlich nicht tun. Man kann es nur im Zustand des "Nicht-Tuns" erreichen. Oder wie Dore Jacobs es ausdrückt: Es muss "selbsttätig" geschehen.


"Nach all dem erscheint es als Überhebung, (überhaupt) von willkürlichen Bewegungen zu sprechen. Denn das Primäre, das Erzeugende, das Bewegende ist nicht der Wille, sondern es sind unwillkürlch wirkende nervliche Reaktionen. (..) Ja, die Reflexe sind ganz eigentlich die Urformen und die Bausteine aller Bewegung. Versagen sie, so bricht die Bewegung zusammen - trotz ungestörter Willenstätigkeit mit HIlfe des Großhirns. (..) Die Herrschaft über die Bewegung wird nicht durch ein Tun gewonnen, sondern durch ein Unterlassen" - durch ein Nicht-tun.


Jetzt, liebe Marie, wird vielleicht für den Leser deutlicher, was F. M. Alexander unter dem Begriff 'Nicht-Tun' versteht, wenn er schreibt. "In meiner Technik führt die Vorstellung des Nicht-Tuns dazu, dass die Mittel-und-Wege, die die Fehlleitung des „Tuns“ verhindern sollen, indirekt zum Einsatz kommen. Nicht-Tätig-Werden ist der erste Schritt bei der Neukonditionierung eines Menschen. Dieser Schritt ist ganz entscheidend für die Herstellung der fundamentalen Funktionsveränderungen, die im Verlauf des Prozesses zu den gewünschten, spezifischen Resultaten führen werden, diesmal aber nicht mit solch schädlichen Begleiterscheinungen, wie es die Selbstbeschränkung ist. Ist es nicht seltsam? Die Theorie und Praxis des Nicht-Tuns werden vergleichsweise leicht akzeptiert, wenn es darum geht, dem Selbst bei seinen nach außen gerichteten Aktivitäten zu helfen. Sie wird aber nur schwer bei ähnlichen Versuchen in Verbindung mit Aktivitäten akzeptiert, die sich im Inneren des Selbst abspielen. Eine solche Hilfe beinhaltet eine Form des Nicht-Tuns, die nicht mit Passivität verwechselt werden darf. Dieses Nicht-Tun ist vielmehr absolut grundlegend, weil so das Selbst daran gehindert wird, sich dadurch selbst Schaden zuzufügen, dass Energien fehlgeleitet werden und das Selbst unkontrolliert reagiert. Dabei kommt ein Akt der Hemmung ins Spiel, wenn wir z. B. als Reaktion auf einen beliebigen Stimulus unsere Zustimmung verweigern, die jeweilige Aktivität auszuführen. Mit einer solchen Verweigerung verhindern wir, dass wir selbst die Befehle aussenden, die normalerweise unsere gewohnte Reaktion auslösen. Auf diese Weise kommt es nicht dazu, dass wir genau das „tun“, was wir eigentlich nicht mehr „tun“ wollten. Es ist eine grundlegende Erfahrung, die Theorie des Nicht-Tuns dort in die Praxis umzusetzen, wo die Art und Weise des Gebrauchs betroffen ist. Und für all jene, die lernen wollen, wie es zu verhindern ist, dass sie das „tun“, was schädlich ist, wenn sie in ihrer Außenwelt aktiv werden, ist keine zu erlangende Erfahrung wertvoller als diese. Eine solche Verhinderungstaktik in Form des Nicht-Tuns ist entscheidend, wenn man eine schlechte Gewohnheit verändern will und Kontrolle über die menschliche Reaktion erlangt werden soll. Haben wir nicht alle schon die Erfahrung gemacht, dass es schwierig ist, auch nur einfachste Gewohnheiten zu verändern? Und uns ist auch bewusst, dass es trotz aller Bemühungen nur relativ wenige Menschen sind, denen es gelingt, das zu verändern, von dem sie sehr genau wissen, dass es eine schlechte Gewohnheit ist. Der Grund dafür ist in den meisten Fällen darin zu sehen, dass die falsche Gebrauchsweise des Einzelnen konstant einen negativen Einfluss auf die allgemeine Funktionsweise hat, was dazu führt, dass unsere Energien vergeudet werden. Und dies wiederum führt zum Verlust unseres Selbstvertrauens, zu Enttäuschung und oft auch zu Verzweiflung.


Bei den verwendeten Verfahren aber, die hier beschrieben werden, wird der konstante Einfluss der Gebrauchsweise auf die allgemeine Funktionsweise positiv sein, je nachdem, wie fähig der Lehrer ist und welche Einstellung der Schüler mitbringt. Und auch den schwierigsten Fällen kann dadurch zum Erfolg verholfen werden, dass Verfahren eingesetzt werden, die einerseits geeignet sind, das Vertrauen des Schülers aufzubauen, wenn er „etwas tun“ will, und die andererseits ihn auch und gerade bei seinen Versuchen bestärken, sich selbst daran zu hindern, die Dinge zu tun, von denen er weiß, dass er sie nicht tun sollte und die er eigentlich auch nicht tun will. Diese Dinge beziehen sich zum einen auf seine ureigenste Weise, sich selbst zu gebrauchen, und zum anderen darauf, wie er diesen Gebrauch bei seinen Aktivitäten in der Außenwelt einsetzt. Das ist Nicht-Tun in Vollendung."


Bis bald

Dein Großvater


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