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Im Brennglas der Alexandertechnik: Selbststeuerung


Liebe Marie,

"Momente gelungener Selbststeuerung haben einen hohen Lustfaktor." Dies schreibt der Neurobiologe Prof. Joachim Bauer in seinem Buch 'Selbststeuerung - Die Wiederentdeckung des freien Willens'. "Dass sich diese Momente typischerweise vor allem dann einstellen, wenn wir uns bewusst entschieden haben, nicht das Bequeme, Naheliegende oder Konventionelle zu tun, sondern einen besonderen, ungewohnten Schritt zu gehen oder einen (..) kurzfristigen Verzicht zu leisten, erscheint zunächst widersprüchlich.Tatsächlich aber hat die Fähigkeit zur gezielt augeübten Selbtbeschränkung, zur bewussten Hemmung kurzfristiger Impulse und Gelüste, ein erhöhtes Maß an Freiheitsräumen und Selbststeuerungsmöglichkeiten zur Folge."


Es gehe vor allem darum, so Prof. Bauer weiter, "im ganz normalen Alltag das Glück eines selbst gesteuerten Lebens zu erfahren. Dies ist allerdings nicht einfach, denn wir leben sozusagen in einer süchtigen Gesellschaft, deren allgegenwärtigen Angeboten zu mehr Bequemlichkeit, fortwährendem Konsum und ständiger, vor allem medialer Ablenkung wir uns nur mit Mühe entziehen können."


"Der Mensch verdankt die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, neurobiologisch betrachtet, seinem Präfrontalen Cortex (PFC). Die durch ihn begründeten Fähigkeiten sind das Markenzeichen der Spezies Mensch. Ohne ihn hätte es vor einigen Zehntausenden von Jahren nicht den Beginn eines Kulurprozesses, vor 12.000 Jahren keine Sesshaftigkeit und seither keinen Zivilisationsprozess gegeben." Daneben gebe es auch ein neurobiologisches Trieb- und Basissystem. "Das (legitime) Anliegen des Basissystems besteht darin, den eigenen Körper in einen gesättigten, bequemen und beruhigten Zustand zu bringen. Eine zumindest hinreichende Befriedigung der Bedürfnisse des Basissystems ist eine wichtige Voraussetzung für die Erhaltung unserer Gesundheit." Durch die beständige Überfütterung des Basissystems mit problematischen Angeboten, "die abhängig und süchtig machen, können sich aber auch Risiken für die Gesundheit ergeben". Solche süchtig machenden Angebote schläferten fatalerweise tatsächlich auch den PFC ein.


Dass es bei sehr vielen Menschen um ihre Selbststeuerung nicht zum Besten bestellt ist, belegt auch die Aussage Prof. Bauers, wonach zwanzig Prozent der 15-Jährigen in Deutschland schwere Defizite beim Lösen einfachster Alltagsaufgaben aufweisen. Vor allem aber zeigt sich diese fehlende bzw. mangelhafte Selbststeuerung in dem fehlerhaften Selbstgebrauch bei inzwischen den meisten Menschen in den Zivilisationsgesellschaften. Diesen schlechten Gebrauch sehr vieler Menschen jeden Alters kann jeder sehen, der durch die Straßen unserer Städte geht. Die große Anzahl an Brillenträgern, auch schon bei Kindern und Jungendlichen; der sogenannte Handy-Buckel; einwärts gedrehte Füße und Beine; zurück- und eingezogene Köpfe; hängende oder hochgezogene Schultern; aus der Form geratene Körper - dies alles u. a. m. ist inzwischen eher der Normalfall als die Ausnahme.


All dies zeigt, dass wir unter den gegenwärtigen Zivilisationsbedingungen mit einer unterbewussten Steuerung und Kontrolle von uns selbst nicht mehr weiter kommen, dass wir stattdessen auf eine bewusste Steuerung und Kontrolle setzen müssen, wenn die Menschheit wirklich eine Zukunft haben will. "Es ist also zwingend notwendig, dass der Mensch die Steuerung und Kontrolle seines Selbst grundlegend verändert." Dies schreibt F. M. Alexander in "Die Konstante im Fluss des Lebens" (BooksonDemand, 2019), der Neuübersetzung ins Deutsche von THE UNIVERSAL CONSTANT IN LIVING. Ohne eine Veränderung der Natur der Selbststeuerung und des Selbstgebrauchs seien Reformen, auf welchen Gebieten auch immer, eher auf Sand gebaut, weil die Reformen immer auch von Menschen mit einer weiterhin unterbewussten Steuerung und Kontrolle umgesetzt werden, und diese unterbewusste Steuerung und Kontrolle ist unter den gegenwärtigen Zivilisationsbedingungen mehr oder weniger unzuverlässig geworden, heißt es dort weiter. Wir müssen unsere Steuerung also wieder so zuverlässig machen, dass wir ihr vertrauen können. Dafür sei eine Technik notwendig, "die die Primärkontrolle in einer Weise zum Einsatz kommen lässt, dass sie einen integrierenden Einfluss auf die Mechanismen des Organismus hat."


Seit über hundert Jahren steht diese Technik nun schon unter dem Namen Alexandertechnik zur Verfügung. Anstatt aber mit dieser Technik das Zepter in ihrem Leben selbst in die Hand zu nehmen und ihren allgemeinen Gebrauch so zu steuern, dass das natürliche Verhältnis zwischen Kopf, Hals und Rücken nicht länger gestört wird, sind die meisten Menschen bis zum heutigen Zeitpunkt weitgehend fremdbestimmt und fremdgesteuert geblieben. So haben sie sich mit der Zeit immer abhängiger von den Mitteln der Medizin gemacht. Für viele ist ein Leben ohne Schmerz-, Beruhigungs- oder Schlaftabletten oder anderer Medikamente wie Blutverdünner kaum mehr denkbar. Wenn alle Stricke reißen, steht die Medizin bereit, um die verschiedensten Ersatzteile in den geschundenen Körper einzubauen, angefangen von künstlichen Knie- oder Hüftgelenken bis hin zu künstlichen Herzklappen, Herzschrittmachern und sogar ganzen Ersatzherzen. Oder sie stellt Apparaturen zur Verfügung, die außerhalb des Körpers zum Einsatz kommen: Der Dialysepatient wird an die künstliche Niere angeschlossen, der Lungenpatient an die Lungenmaschine; der Rollator für die vielen Menschen, die Schwierigkeiten beim Gehen haben, gehört inzwischen zum ganz normalen Stadtbild. Immer behandelt die Medizin die Symptome - darin leistet sie teilweise Großartiges. Aber nur äußerst selten ist sie in der Lage, die Ursachen für die jeweiligen Probleme überhaupt zu erkennen, geschweige denn zu beseitigen.


Das Schlusswort soll heute Aldous Huxley gehören, der in seinem Buch 'Ends and Means' fesgestellt hat, dass die Alexandertechnik auch deshalb so "wertvoll ist, weil mit ihr die bewusste Kontrolle des Menschen über seinen Körper zunimmt und er auf diese Weise vom Zustand der Unwissenheit in einen Zustand geführt werden kann, in dem er sich seines Körpers bewusst ist und ihn kontrollieren kann. Ein derartiges Körperbewusstsein und eine solche körperliche Selbstkontrolle führen dann zu geistiger und moralischer Selbstkontrolle, sind gewissermaßen ein Teil davon."


Bis bald

Dein Großvater


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