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IM BRENNGLAS DER ALEXANDERTECHNIK: Innenbewegung - Außenbewegung


Liebe Marie,

"Bewegung ist das A und O für Gesundheit und Wohlbefinden." Wie oft haben wir dies schon gehört? Dore Jacobs schreibt dazu in ihrem bahnbrechenden Werk "Die menschliche Bewegung" dies: "Was aufbaut ist eben nicht die Bewegung an sich, sondern die durch sie angeregte Tätigkeit der inneren Organe." Innenbewegung sei tatsächlich die eigentliche Lebensquelle des Menschen: "Strömende Innenbewegung bedeutet erhöhtes Lebensgegefühl, eine stockende vermindertes." Die innere leibliche Strömung sei das Wesentliche an der Bewegung, das, was ihr Gehalt und Lebensfülle gibt. Falsch sei jede Bewegung, die das innere Leben hemmt oder verwirrt, "mag sie noch so exakt, und gekonnt, noch so ausdrucks- und temperamentvoll, noch so fließend und scheinbar rhythmisch sein."


Wenn Innen- und Außenbewegung miteinander verbunden sein sollen, verlangt dies von der äußeren Bewegung, dass sie an Atmung und Blutströmung gekoppelt ist. Dies bedeutet u a., dass der Atem nicht angehalten, aber auch nicht willensmäßig eingezogen und ausgestoßen wird, sondern ungehindert fließen kann; dass die Gesichts-und Halsmuskeln nicht angespannt werden; dass "Atmung und Blutströmung geschehen, wie sie geschehen wollen - das ist es, was erforderlich ist."


Wie aber kann diesen Forderungen Genüge getan werden? "Die Kunst ist es, immer die Innenbewegung zu haben, die man braucht." Dazu ist es nötig, die Atmung so in Bewegung zu bringen, dass der Atem und das Blut frei und rhythmisch strömen. Die Außenbewegung ist dann "in Zeitmaß und Ablauf dem Atem so anzupassen, dass die Atmung führt und die Bewegung sich in Ihr einpasst, statt sie zu behindern." Aus Bewegungsexperimenten ergibt sich ein Bild davon, "wie der Leib aus seinen Eigenkräften eine Bewegung 'will'. (..) Anfangs ist dieses Bild noch unsicher. (...) Allmählich aber wird man sicherer. Man lernt, die äußere Bewegung als ein Fenster anzusehen, durch das die innere herausblickt. Immer aber bleibt es ein Bild, das durch Begriffe nicht ersetzt werden kann. Es muss geschaut sein, bevor es beschrieben wird. Und es muss am eigenen Leibe erfahren werden, bevor es geschaut werden kann."


Nur kommt auch die experimentelle Bewegung, so sehr sich auch ein Bild von der sie begleitenden inneren Bewegung herausgeschält hat, allzu oft im Gewand des bisherigen schlechten Gebrauchs daher, wie er inzwischen eher die Regel als die Ausnahme ist. Und dieser generelle schlechte Gebrauch lässt das Innenleben insgesamt und auch Atmung und Blutströmung immer schlechter aussehen. Die Folge sind Unwohlsein, Krankheit und Gebrechen.


Als F. M. Alexander nach langer Selbstbeobachtung endlich erkannt hatte, was an seinem Gebrauch falsch war, wenn seine Stimme auf der Bühne versagte, konnte er noch lange nicht verhindern, dass er in dem Moment, da er zum Sprechen ansetzte, seinen Kopf ein- und zurückzog, so sehr er sich darum auch bemühte. Erst musste die Erkenntnis in ihm reifen, dass er als allererstes verhindern musste, überhaupt auf einen Reiz zu reagieren, bevor er sich daran machen konnte, seine gewohnte, aber schädliche Gebrauchsweise zu verändern. Die Hemmung jeglicher Reaktion auf einen Reiz war das eine, die Umschulung und Neugestaltung des eigenen Gebrauchs das andere. Dazu war es erforderlich, dass er sich von den Gefühlen vollkommen löste, die seinen bisherigen Gebrauch begleitet hatten. Das, was sich 'richtig' angefühlt hatte, hatte ja dazu geführt, dass er mit dem Ein- und Zurückziehen des Kopfes das Falsche getan hatte. Folglich muss sich falsch anfühlen, was richtig ist. (Den langwierigen Prozess, der zur Entwicklung seiner Technik geführt hat, beschreibt F. M. Alexander detailliert in seinem Buch "Der Gebrauch des Selbst" (BooksonDemand, 2021), der Neuübersetzung ins Deutsche von THE USE OF THE SELF.)


Das Bewegungsexperiment, liebe Marie, ist meiner Meinung nach tatsächlich ein probates Mittel, um der Affenfalle eines gewohnten Gebrauchs - schädlich oder nicht - entkommen zu können. Voraussetzung ist jedoch, dass der Experimentierfreudige sich von seinen vertrauten Gefühlen löst und nach anderen, wenig vertrauten sucht, um sie in sein Gefühlsverzeichnis neu aufzunehmen; dass er das Bewegungsexperiment mit den Steuerungsbefehlen zur Primärkontrolle des natürlichen Verhältnisses zwischen Kopf, Hals und Rücken und mit den Steuerungsbefehlen zu dem Bewegungsexperiment selbst verbindet; und dass er vor allem und zuallererst sein altes Reaktionsmuster hemmt.


Prinzipiell können so alle unsere Alltagsbewegungen zu einem Experimentierfeld gemacht werden, ob man nun am Schreibtisch sitzend auf der Computertastatur etwas eingibt oder ob man sich etwa aus seinem Sessel oder von seinem Stuhl erhebt. Setze einmal versuchsweise beim Aufstehen die Füße anders als gewohnt vor- oder weiter auseinander, Marie. Oder rücke die Tastatur näher an Deinen Körper heran oder schiebe sie weiter weg,: Es kann durchaus sein, dass es Dir jetzt schwer fällt, zu schreiben oder aufzustehen, weil es sich jetzt ganz anders anfühlt. Hemme dann Deinen Wunsch, das gewohnte Gefühlserlebnis herzustellen, erteile die Befehle zur Primärkontrolle und zu dem Bewegungsexperiment und reagiere erst dann.


Wenn Du dies nicht beachtest, kann ein solches Experiment durchaus auf die Gesundheit gravierende, schädliche Auwirkungen haben, wie ich es am eigenen Leibe schmerzlich erfahren habe, als sich vor mehr als zehn Jahren meine Knie- und Füßgelenke so stark entzündet hatten, dass ich für ein Vierteljahr ganz ausgefallen bin. Diese Geschichte erzähle ich aber vielleicht in allen Einzelheiten, wenn sich demnächst die Gelegenheit dazu bietet.


Bis bald

Dein Großvater




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