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IM BRENNGLAS DER ALEXANDERTECHNIK: "Geeignete Schreibtische und Bürostühle"


Liebe Marie,

Rückenbeschwerden seien erstmals seit Jahren wieder die Ursache Nummer eins für Krankschreibungen. "Ein Grund dafür könnten die Arbeitsbedingungen im Homeoffice sein", erklärte die Kaufmännische Krankenkasse in der Westfälischen Rundschau vom 18. August 2021. Zu Hause fehlten häufig ein geeigneter Schreibtisch und ein geeigneter Bürostuhl.


In "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert" (BooksonDemand, 2018), der Erstübersetzung ins Deutsche von MAN'S SUPREME INHERITANCE, nimmt F. M. Alexander explizit zu "geeigneten" Schreibtischen und Bürostühlen Stellung. Es heißt dort: "In diesen Zusammenhang gehört auch, dass ich von Freunden und auch von unbekannten Briefeschreibern wiederholt nach meiner Meinung zum richtigen Mobiliar gefragt worden bin. Welche Stühle oder Hocker, welche Tische oder Schreibpulte sind die richtigen, um die schlechten Gewohnheiten zu verhindern, von denen man annimmt, dass sie durch das schlechte Schul- (und Büro) mobiliar verursacht werden? In meinen Antworten weise ich jedes Mal darauf hin, dass dies der falsche Standpunkt ist, um das Problem zu lösen.


Vielleicht sollte dieses Problem einmal im Lichte der Vernunft betrachtet werden. Nehmen wir nur einmal an, es gäbe diesen idealen Stuhl, es gäbe ein solches wundersames Gefüge aus perfekten Winkeln, Wölbungen und Stützpunkten wirklich, das wie durch Zauberhand auch jeden Fehler im Körpermechanismus des Kindes verhindert. Und nehmen wir ruhig weiter an, das Kind fände auch Behaglichkeit und Ruhe, wenn es auf diesem Stuhl sitzt. Wie aber soll verhindert werden, dass es Qualen erleidet, wenn es mit all dem konfrontiert wird, was unbequem ist? Wenn es Auto fährt? Wenn es sich zuhause hinsetzt? Wenn es Freunde besucht? Wenn es am Fluss oder im Wald ein Picknick macht? Ich sehe nur eine Möglichkeit: Wenn es diesen idealen Stuhl gäbe, müsste ihn unser Kind wohl überall mit hinnehmen, wohin es auch geht.


Dann stellen sich aber weitere Fragen. Wie ist es möglich, dass sich dieser ideale Stuhl wie von Zauberhand auf jedes Alter und jeden Typus eines Kindes anpasst? Sollen wir die Kinder etwa als formbare Lehmklumpen behandeln, die in ein Modell, von dem wir annehmen, dass es dem idealen Stuhl entspricht, eingepasst werden müssen? Sollen wir etwa jeden einzelnen untersuchen und vermessen und dann Jahr für Jahr einen Stuhl nach seinen Maßen bauen, sagen wir, bis ins Erwachsenalter hinein?


Nein! Was wir brauchen, ist nicht eine ideale Konstruktion der Schulmöbel. Was wir brauchen, ist die ideale Ausbildung unserer Kinder. Gib einem Kind die Fähigkeit, sich selbst im vernünftigen Rahmen an seine Umwelt anzupassen, und es wird erst gar keine Unannehmlichkeiten erleiden und es wird auch keine schlechten Körpergewohnheiten entwickeln, ganz gleich auf welchen Stuhl es sich setzt. (......) Warum sollten wir wertvolle Zeit, Erfindungsreichtum oder Gedanken darauf verwenden, Möbel zu konstruieren, wenn wir das Kind mit viel geringerem Einsatz dieser drei Einheiten so gut ausbilden können, dass es eine eigene bewusste Kontrolle erlangt und sich über alle möglichen Einschränkungen hinwegsetzt, die eine normale Schulausstattung provozieren kann."


Wie nun müsste eine solche Ausbildung und Erziehung unserer Kinder aussehen? Wie könnten sie lernen, "sich selbst im vernünftigen Rahmen an (ihre) Umwelt anzupassen?" - Es sei der Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe, der "im Umgang mit Kindern so viel besser (trage) als die alten Prinzipien. Bisher haben die Pädagogen den Kindern alles gegeben, von dem sie glaubten, dass die Kinder es brauchten. Zukünftig müssen wir anders vorgehen und ihnen die Mittel-und-Wege an die Hand geben, mit denen sie ihr eigenes Vorankommen selbst bestimmen, mit denen sie ihre Bedürfnisse selbst befriedigen können." (ebenda)


"Wenn neue Methoden anwendet werden sollen, erfordert dies, dass der Gegenstand, die Person oder die Personen genau und eingehend untersucht werden, auf die sie angewendet werden sollen. Eine solche Untersuchung würde wahrscheinlich die wirkliche Ursache für die Schwierigkeiten aufgedeckt haben, die sich uns in der Erziehung unserer Kinder heute stellen: Durch den Zivilisationsprozess hat sich nämlich der geistig-körperliche Zustand eines Kindes zum Zeitpunkt der Geburt nach und nach verändert. In diesem Zivilisationsprozess ist einerseits viel gewonnen worden, es ist aber auch vieles verloren gegangen. Aus dem Blickwinkel des Erziehers waren die Verluste im Vergleich zu den Vorteilen gewaltig, denn das kinästhetische System ist ruiniert worden, das wahrlich von einer außerordentlichen Bedeutung ist. Der Versuch des Menschen, in Abhängigkeit von seinem unterbewusst kontrollierten Organismus von den niederen (animalischen) Stufen auf die höheren Stufen der evolutionären Ebenen zu gelangen, hat das kinästhetische System in seine Einzelteile zerlegt." (ebenda)


Durch den fast vollständigen Verlust der kinästhetischen Wahrnehmung werden mittlerweile auch die anderen Sinne in Mitleidenschaft gezogen. Im heutigen Stadtbild offenbart sich diese Tatsache, wird das Heer der Brillen- und Hörgeräteträger doch immer größer, zudem wird dieses Heer immer noch jünger. Augen, Ohren und die anderen Sinne verlieren ihre volle Funktionskraft, weil die einzelnen Teile des Organismus aufgrund der fehlenden kinästhetischen Wahrnehmungen nicht mehr unbedingt an ihrem angestammten Platz gehalten werden, sondern in Relation zueinander sich so verschieben, dass z. B. das Auge an Sehkraft oder das Ohr an Hörkraft einbüßt.


Dies ist also offensichtlich: Um die Verhältnisse zwischen den Körperteilen, so wie sie sich individuell darstellen, überhaupt wahrnehmen zu können, muss auf dem Wege zu einem selbstbestimmten Leben erst einmal die kinästhtetische Wahrnehmung wieder hergestellt werden. Vermittelt über geschickte Manipulationen durch einen Alexandertechniklehrer sind die zunehmenden kinästheteischen Erfahrungen des Schülers in Verbindung mit den Steuerungsbefehlen zur Primärkontrolle der Ausgangspunkt für eine nicht endende Aufwärtsspirale hin zu einem guten und immer noch besseren allgemeinen Gebrauch. Im Laufe dieser Aufwärtsentwicklung wird es dann einem Menschen auch möglich sein, auf jedem beliebigen Stuhl oder Untergrund zu sitzen, ohne dass er dadurch irgendwie zu Schaden kommt.


Und mit einem solchen Gebrauch ist auch der "Sessel mit hoher Rückenlehne und auladenden Seitenarmen", den Hanns Dieter Hüsch als Hagenbuch ins Spiel gebracht hat, anstelle "eines 150 Kilometer Punkte-Gehens oder eines sogenannten Volkslaufs" eine bedenkenswerte Option:

"Und auf die aufgebrachte Zwischenfrage,

Was denn die Menschheit tun solle,

Habe er, Hagenbuch, geantwortet:

In einen Sessel setzen

In einen schönen alten Sessel

Mit hoher Rückenlehne und ausladenenden Seitenarmen

Und wie die Sphinx im Staube Ägyptens

Von Ewigkeit zu Ewigkeit

Dort ganz ruhig sitzen bleiben."


Bis bald

Dein Großvater


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