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Im Brennglas der Alexandertechnik: Die Wettervorhersage


Liebe Marie,

bevor ein Freund vor die Tür geht, wirft er einen Blick auf seine Wetter-App, die das Wetter der nächsten Stunden dort, wo er sich gerade befände, exakt voraussage. Je nach Vorhersage mache er dann mit seiner Frau ggf. einen längeren oder einen kürzeren Waldspaziergang, denn er verlasse sich lieber auf die App als auf seinen Blick in den Himmel.


Diese kleine Episode hat mich daran erinnert, was F. M. Alexander in seinem Vorwort zu seinem ersten Buch "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert" (BooksonDemand, 2018), der Erstübersetzung ins Deutsche von MAN'S SUPREME INHERITANCE, geschrieben hat: "Zu meinen Freunden gehörte einst ein Schiffer, der als Old Sol fast eine Berühmtheit war. Wer ihn kannte, nannte ihn einfach Sol, ohne alt als Zusatz, der eine Ehrenbezeichnung war, denn Sol war nicht wirklich alt. Ich könnte gar nicht sagen, ob sein Name eine Abkürzung von Solomon war. Und wenn er eine Kurzform war, wüsste ich nicht, ob Solomon sein Taufname war oder ob ihm der Name in späteren Jahren aufgrund seines unzweifelhaften Wissens verliehen worden ist. Ich habe es sogar für eine Möglichkeit gehalten, dass Sol überhaupt keine Abkürzung war. Aber auf jeden Fall war der Name Sol sehr treffend für den gewohnheitsmäßigen Optimismus meines Freundes, wenn es um das Wetter ging. Für einen Ruderknecht aus Cockney, der mit Sorge die Wetterbedingungen auf der oberen Themse beobachtete, hielt Sol unerschütterlich Aufmunterungen bereit. Die Gewissheit, die er ausdrückte, dass das Wetter aufklaren und die Sonne herauskommen würde, war so ermutigend, dass der Londoner mit blassem Gesicht den schlechtesten Wetteraussichten gut gelaunt ins Auge sah und sich auf seinen ungewissen Weg stromaufwärts machte, getragen auf einer Woge wunderbarer Zuversicht in die Unfehlbarkeit Old Sols. Aber für mich und seine anderen engen Freunde, mit denen er öfter Geschäfte machte und die nicht davon abhängig waren, auf ein schönes Wochenende zu hoffen, hatte Sol eine andere Methode. Wenn wir ihn wie üblich fragten: „Nun, Sol, wie wird es sich entwickeln?“, war sein Blick zunächst zum Himmel gerichtet, dann machte er einen Schritt an den Rand der Landungszone, um anschließend die Linie des Horizonts zu studieren, soweit sie sich in seinem Blickfeld befand. Nach einer solch sorgfältigen Analyse war er dann bereit, uns seine Meinung mitzuteilen, und es kam äußerst selten vor, dass er mit seinen Vorhersagen wirklich danebenlag.


Wenn ich mich jetzt an meine Kritiker wende, an den kritischen Laien und den Kritiker, der Einblick in die Materie hat, möchte ich als Erstes die Methoden, mit denen Sol den Freizeitamateuren Mut gemacht hat, ganz entscheiden zurückweisen. Sie sind nicht meine Sache. Denn ich kann nicht grenzenlosen Sonnenschein für einen jeden voraussagen, ohne dass ich die wirklichen Bedingungen genau kenne. In diesem Buch werden Sie nirgendwo die Aussage finden, dass es Königswege, Patentlösungen oder Allheilmittel gibt. Ich werde aber jedem einzelnen Leser so viel Achtung entgegenbringen, wie es Sol seinen engsten Freunden gegenüber getan hat. Ja, ich habe in den Himmel geschaut, ich habe den Horizont genau abgesucht und ich habe wahrlich ein Ideal entdeckt und das Versprechen gesehen, dass das Ideal realisiert werden kann. Geduldig und fleißig habe ich Schlussfolgerungen aus Zeichen gezogen, die ich sorgfältig analysiert habe. Wenn ich ein Optimist bin, dann weil ich das gute Wetter wirklich sehe und nicht weil ich einen Menschen verführen will, der gedankenlos ist."


Nehmen wir nur einmal an, dass die Wetter-App und die Methode 'Old Sol' gleich gute Ergebnisse liefern. Dann spricht für Sols Methode aber, dass damit die Sinne des Einzelnen geschärft werden. Um zu einer exakten Wettervorhersage zu kommen, hatte Sol nämlich lernen müssen, den Himmel am Horizont nach Zeichen abzusuchen; er hatte gelernt, Windrichtung und Windstärke genau wahrzunehmen; er konnte das zukünftige Wetter vielleicht auch am Geruch erkennen und hatte wohl auch ein Gespür dafür entwickelt. Und er hatte lernen müssen, all diese Zeichen zu deuten und zu beurteilen. Aber jemand, der sich auf seine Wetter-App verlässt, verzichtet auf diese Lernprozesse. Seine sinnliche Wahrnehmung kommt nicht zum Einsatz und wird so auch nicht geschult: Denn auch für die Systeme der sinnlichen Wahrnehmung gilt nämlich das 1. Roux'sche Gesetz: Der Gebrauch bestimmt die Funktion.


F. M. Alexander hat nicht den Himmel abgesucht, um das Wetter vorhersagen zu können. Nachdem alle Ärzte, die er konsultiert hatte, ihm nicht helfen konnten, hatte er sich über viele Jahre selbst beobachtet, um einen Weg zu finden, wie er seine Heiserkeit bis hin zu völligem Stimmversagen loswerden konnte, mit der er auf der Bühne beim Rezitieren beständig zu kämpfen hatte. Diese Selbstbeobachtung verlangte in der Tat zunächst einmal, dass er seine Sinne schärfte, um im Spiegel überhaupt sehen und dann auch spüren zu können, was er mit sich selbst anstellte, wenn er seine Stimme gebrauchte. Allein diese feinen Zeichen zu sehen, stellte schon eine ziemliche Herausforderung dar. Einen Weg zu finden, dieses falsche Tun zu unterbinden, zu hemmen, wie es in der Fachsprache der Alexandertechnik heißt, war noch sehr viel schwieriger. In jahrelangen Selbstversuchen ist es ihm schließlich gelungen diesen idealen Weg zu finden.


Ideal ist dieser Weg, weil auf ihm nicht nur Heiserkeit oder ein Versagen der Stimme beseitigt, sondern auch jedes andere Gebrechen geheilt, zumindest aber gelindert werden kann.


Bis Bald

Dein Großvater





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