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Im Brennglas der Alexandertechnik: Die Muskeln spielen lassen


Liebe Marie,

ich erzähle Dir heute von einem Freund, der mir voller Stolz gezeigt hat, wie er seinen rechten großen Brustmuskel hüpfen lässt. F. M. Alexander hat sich zu solchen und ähnlichen Muskelspielen in "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert" (BooksonDemand, 2018), der Erstübersetzung ins Deutsche von MAN'S SUPREME INHERITANCE geäußert. Er schreibt darin: "In der Regel ist mit (dem Begriff 'bewusste Kontrolle'') aber eine eher spezifische Kontrolle gemeint, wie das absichtliche Bewegen eines Muskels. Die Kraftathleten benutzen diese Art, um in der Öffentlichkeit ihre Körperkunststücke zu zeigen. Da zuckt ein Fingerglied, ein Zeh winkt, ein Ohr wackelt und ein anderes Körperglied oder ein anderer spezieller Muskel werden bewusst in Bewegung gebracht. Ich verwende den Ausdruck „Bewusste Kontrolle“ in diesem Werk anders. Ich will auf den Wert und die Verwendung bewusster Steuerung und Kontrolle als ein grundlegendes und umfassendes Prinzip verweisen. Erst in zweiter Linie ist ihre Verwendung spezifischer Art. In der Praxis aber ist die spezifische Kontrolle immer abhängig von der grundlegenden. Der Begriff wird nicht allein verwendet, um auf eine Steuerung und Kontrolle hinzuweisen, die wir bei den Aktivitäten des Lebens einsetzen könnten, wenn auch nur mit zweifelhafter Genauigkeit und nur in ein oder zwei Richtungen, sondern auf eine „bewusste Kontrolle“, die wir tatsächlich in allen Bereichen verwenden können, in denen sich der Mensch körperlich und geistig ausdrückt, und das mit einer Präzision in jeglicher Richtung."


Dieser Freund hat zwar die spezifische Kontrolle über die großen Brustmuskel erlangt. Wenn er jedoch diesen Muskel absichtlich zucken lässt, geschieht dies, ohne dass er dabei die grundlegene Kontrolle über seinen Organismus, ohne dass er dabei die Primärkontrolle über das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken hat. (Seine lange Krankengeschichte ist eindeutiger Beleg dafür.) Ohne eine solche grundlegende Kontrolle aber läuft der Mensch Gefahr, sich selbst mehr oder weniger zu schaden, wenn er seine 'Varietenummern' unter einer nur spezifischen Kontrolle auf dem Jahrmarkt des Lebens aufführt.


Wenn mit der Alexandertechnik die bewusste Kontrolle über das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken erworben worden ist, steht damit ein grundlegendes Muster zur Verfügung, um auch alle anderen Funktionen, Systeme und Mechanismen des menschlichen Organismus unter eine bewusste Kontrolle zu bringen. "Es gibt nicht eine Körperfunktion, die nicht unter die Kontrolle eines bewussten Willens gebracht werden könnte. Mit dem Einsatz einer bewussten Kontrolle wird es in Zukunft möglich sein, den Körper so vollständig zu beherrschen, dass alle körperlichen Defekte beseitigt werden können." Dies schreibt F. M. Alexander dort.


Eine Zeit lang hatte man angenommen, mit den richtigen Übungen in den jeweiligen Therapien werde mit der Zeit das Unterbewusstsein die Dinge, die im Argen liegen, schon richten. Dies hat sich jedoch letztendlich als ein Trugschluss erwiesen. F. M. Alexander schreibt dazu: "Im Lichte der Forderung, dass das Bewusstsein geweckt werden muss, ist meine Theorie auf eine gewisse Weise als revolutionär zu bezeichnen. Alle früheren Methoden wollten nämlich das Unterbewusstsein erreichen. Es war deshalb in der einen oder anderen Form ihr Ziel, zunächst das flexible Arbeiten des wahren Bewusstseins auszuschalten. Das logische und unvermeidbare Ergebnis einer solcher Methodik ist es, dass man sich zwar darum bemüht, eine individuelle schlechte Gewohnheit zu verändern, dass jedoch die ihr zu Grunde liegende Denkgewohnheit unverändert gelassen wird." Diese Methoden, die auf das Unterbewusstsein bauen, töteten dabei tatsächlich sogar die objektive Wahrnehmung und das Bewusstsein noch ab.


F. M. Alexander stellt oben fest, dass der Mensch alle, wirklich alle Systeme, Mechanismen und Funktionen seines Organismus unter eine bewusste Kontrolle bringen kann. Ob dies einem einzelnen Menschen jemals gelingen wird, ist wohl aber äußerst fraglich. Bei der Übersetzung von Michael McCallions "Das Buch der Stimme" (The Voice Book) ins Deutsche, liebe Marie, lerne ich z. B. eine völlig neue Welt kennen, die Welt der Stimmbildung. Wenn man als Sänger, Schauspieler oder Sprecher ein höheres Könnensniveau erreichen will, gibt es in dieser Welt viele neue, bisher mir unbekannte Dinge, die auf der Basis der Primärkontrolle des natürlichen Verhältnisses von Kopf, Hals und Rücken bewusst gesteuert und kontrolliert werden können.Tatsächlich gibt es wohl nahezu unendlich viele Bereiche, die an diese primäre Kontrolle gekoppelt werden können. Weil sich mit den zunehmenden kinästhetischen Wahrnehmungen immer noch weitere Felder dem Bewusstsein eröffnen, wird der Lernprozess, bei dem immer noch weitere Bereiche unter eine bewusste Kontrolle gebracht werden, wohl niemals ein Ende haben.


Und auch Yoga, Tai Chi, Ballett, Gymnastik, Stretching, Walking, Jogging, Schwimmen, Tanzen, Fahrrad fahren oder ein ausgeklügeltes Fitnessprogramm können ihr wunderbares Potenzial erst dann voll entfalten, wenn sie unter das Schutzschild einer bewussten Kontrolle des natürlichen Verhältnisses zwischen Kopf, Hals und Rücken gebracht worden sind.


Bis bald

Dein Großvater


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