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IM BRENNGLAS DER ALEXANDERTECHNIK: Die Hand


Liebe Marie,

ob ein Bildhauer eine Skulptur in rohen Fels haut, ein Gemälde auf der Leinwand entsteht, ein Pianist die Tasten seines Klaviers streichelt, um eine göttliche Partitur von Bach zu spielen oder ob von Dir eine Zwiebel geschnitten, ein Brief geschrieben oder die Wohnung aufgeräumt wird, immer sind dabei auch Hände im Spiel. Kein ernsthafter Erklärungsversuch menschlichen Lebens dürfe die zentrale Bedeutung der menschlichen Hand außer Acht lassen, ist laut Frank R. Wilson die besondere Botschaft, die uns Charles Bell mit seinem Werk "The Hand" mit auf den Weg gegeben hat. (vgl. Frank R. Wilson, Die Hand - Geniestreich der Evolution, rororo, 1998)


Die Hand ist ein wahres Wunderwerk der Evolution: "Keines unserer Körperteile ist komplexer - es gibt acht Handwurzelknochen, neunzehn Mittelhand- und Fingerknochen, sowie zahlreiche Gelenke, vom Handgelenk bis zu den Fingerspitzen. Insgesamt 33 Muskeln sind für die Bewegungen der Hand zuständig, ein Großteil liegt davon im Unterarm und wirkt über Sehnen bis in die Hand selbst. Die Blutversorgung der Hand ist redundant: Es gibt zwei große Arterien zur Versorgung und auch jeder Finger hat zwei kleine Arterien. So bleibt bei Verletzung eines der Gefäße die Funktionsfähigkeit der Hand erhalten," so ist es in der Westfälischen Rundschau vom 9. Juli 2022 nachzulesen.


"Doch was meinen wir mit 'die Hand'? Sollen wir sie durch ihre sichtbaren physischen Grenzen definieren? Nach der klassischen Oberflächenanatomie reicht die Hand vom Handgelenk bis zu den Fingerspitzen. Unter der Haut erweist sich diese Grenze jedoch als reine Abstraktion, als Bleistiftlinie, die Kartographen gezogen haben und die uns keinen Hinweis darauf gibt, wie die Hand beschaffen ist und wie sie funktioniert. Zu beiden Seiten des Handgelenks, unter einer dünnen Schicht von Haut- und Bindegewebe verborgen, führen weiße, tauartige Sehnen und Nerven von der Hand in den Unterarm. Sind die Sehnen oberhalb des Handgelenks - also im Unterarm - Teile der Hand? (......) Und aus Sicht der biochemischen Anatomie ist die Hand ein integraler Bestandteil des ganzen Armes, genauer, der spezialisierte Endabschnitt einer kranartigen Struktur, die an Hals und Schultergürtel aufgehängt ist." Und weiter heißt es bei Frank R. Wilson, dass der Schulterapparat mit den Schulterblättern als eine intelligente Kupplung wirkt: "Die Schultermuskeln richten das Schultergelenk noch vor Beginn der Bewegung aus, steuern in Zusammenarbeit mit Ellenbogen und Unterarm die Bewegung des Oberarmbeins und führen die handlungsbereite Hand so zu ihrem Ziel. (...) Wir müssen uns einfach klarmachen, dass es im Körper eine Teilung oder Trennung der Funktionen nicht gibt. Das muskuloskeletale System arbeitet als geschlossene Einheit; seine Gesamtbewegung ist ganzheitlich und fließend. Tatsächlich sind Schulter-, Arm- und Handfunktionen in neuromuskulärer und biomechanischer Hinsicht vollkommen aufeinander abgestimmt." (ebenda)


Die Hände spielen in der Alexandertechnik eine ungemein wichtige Rolle: Der Alexandertechniklehrer vermittelt mit ihnen die kinästhetischen Erfahrungen, die für die Veränderung des allgemeinen fehlerhaften Gebrauchs seines Schülers unabdingbar sind. Mit seinen Händen führt er ihn durch die jeweilige Bewegung. Die Aufgabe des Schülers besteht in dieser ersten Phase des Unterrichts vor allem darin, seine gewohnten Reaktionen zu hemmen und sich selbst die Befehle zur Primärkontrolle des natürlichen Verhältnisses zwischen Kopf, Hals und Rücken zu erteilen.


In diesem Zusammenhang gilt es noch einen weiteren Aspekt zu beachten: Solange nicht der Gebrauch des Schultergürtels mit Armen und Händen verbessert ist, wird auch das natürliche Verhältnis zwischen Kopf, Hals und Rücken weiterhin mehr oder weniger gestört bleiben, wie auch der falsche Gebrauch der Beine dieses Verhältnis weiterhin stört. Unter diesem Aspekt ist ein positiver Kreislauf in Gang zu setzen - ein verbessertes Verhältnis zwischen Kopf, Hals und Rücken ermöglicht einen besseren Gebrauch von Beinen, Schultergürtel, Armen und Händen; besser koordinierte Bewegungen von Händen, Armen und Beinen führen zu einem verbesserten Gebrauch der Einheit aus Kopf, Hals und Rücken. Und immer so weiter. Sehr bald schon übernimmt der Schüler von seinem Lehrer die Rolle des Schwunggebers in diesem Prozess: Mit zunehmender kinästhetischer Wahrnehmung des Schülers nimmt auch seine Fähigkeit zur bewussten Steuerung und Kontrolle des natürlichen Verhältnisses zwischen Kopf, Hals und Rücken zu.


In Jacques Audiards Film "Der Geschmack von Rost und Knochen" zertrümmert der Kickboxer und Kämpfer Ali mit seinen bloßen Händen eine dicke Eisschicht, weil er dort auf der anderen Seite des Eises seinen Sohn ausgemacht hat, der in einem kurzen unbeaufsichtigten Moment ins Eis eingebrochen war. In der Schlusssequenz des Films spricht Ali aus dem Off die folgenden Sätze: " Die Hand hat 27 Knochen. Nur einige Affen haben mehr. Der Gorilla hat 32 und 5 in jedem Daumen. Beim Menschen sind es 27. Wenn du dir den Arm oder das Bein brichst, hat der Knochen genug Kalzium, um wieder zusammenzuwachsen. Am Ende ist er sogar stabiler als vorher. Aber ein gebrochener Handknochen wächst nie wieder richtig zusammen. In jedem Kampf und bei jedem Schlag denkst du daran. Du bist vorsichtig. Aber irgendwann kommt der Schmerz wieder, wie Nadelstiche, wie Glassplitter."


Bis bald

Dein Großvater


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