top of page
Empfohlene Einträge

Im Brennglas der Alexandertechnik: Der neue Mensch als Menschmaschine?


Liebe Marie,

in der 3. Staffel von Babylon Berlin, in dem der Regisseur Tom Tykwer den zweiten Roman aus der 'Kommissar Rath'-Reihe in Szene setzt, kommt fiktiv der Film "Dämonen der Leidenschaft" zur Uraufführung. Darin wird der Mensch am Ende zur Menschmaschine, weil weite Teile seines Organismus durch Kunstglieder ersetzt worden sind. Auf einer zweiten Ebene dieser Staffel Babylon Berlin baut der Arzt und Psychloge 'Dr. Schwarz' das dazu passende psychologische Gerüst auf. In einem Radiofeature - das Radio steckte damals noch in seinen Kinderschuhen; es standen nur wenige Frequenzen zur Verfügung und kaum jemand besaß einen Empfänger - erläutert er, welchen Vorteil und Nutzen es hat, den Menschen zur Menschmaschine weiterzuentwickeln. "Nach den fundamentalen Zerrüttungen von Körper und Seele nach dem großen Krieg gilt es nun für die Wissenschaft, einen Weg in die Zukunft zu finden.; die Grundlagen dafür zu schaffen, den neuen Menschen des 21. Jahrhunderts zu kreieren; einen Weg, der den versehrten Körper nicht nur heilt, sondern dem unverletzten Körper sogar überlegen macht. Denn nur der Körper des Invaliden bietet die Möglichkeit für künstliche Körperteile, nur die ausgesstoßene Augenhöhle den Platz für das Kameraauge, nur der amputierte Arm die Option einer stählernen Hand. Der vom Kriege versehrte Geist wiederum bildet die beste Grundlage zur Überwindung der Angst, denn nur er erkennt die Abgründe der zerstörten Seele so profund, dass er sie unangreifbar macht. Dieser Weg ist nun für uns zu gehen. Wir schaffen den neuen Menschen. Wir schaffen die Menschmaschine, ein von Schmerz und Angst befreiter Android."


Das hört sich alles sehr verstörend und ungeheuerlich an, wenn der Psychiater davon spricht, den "von Schmerz und Angst befreiten Androiden schaffen" zu wollen. Was geschieht aber im Bereich der Medizin schon seit vielen Jahrzehnten? Wie geht die Psychiatrie vor, um die Menschen von ihren Ängsten und Depressionen zu befreien? - Der Einbau von künstlichen Knie- und Hüftgelenken ist in der Chirurgie mittlerweile völlig zur Routine geworden. Künstliche Herzklappen einzubauen, ist nichts Besonderes mehr. Ersatzorgane werden im Akkord eingeplanzt (bisher jedoch noch von anderen Menschen gespendet und nicht künstlich hergestellt). Und Schmerzen werden mit Medikamenten betäubt und Depressionen mit Psychopharmaka in Schach gehalten.


Dabei erfüllen Schmerz und Angst auch wichtige Funktionen im Organismus: Angst warnt vor Gefahren und Schmerzen weisen darauf hin, dass in dem betreffenden Organismus etwas nicht in Ordnung ist, dass etwas in Unordnung geraten ist. Wenn die Dinge, die im Organismus in Unordnung geraten sind, wieder in Ordnung gebracht werden, verschwinden auch die Schmerzsignale - auch ohne Medikamente. Nur tut sich die Medizin sehr schwer damit, überhaupt die wirklichen Ursachen für die Symptome aufzudecken, geschweige denn zu beseitigen. Ganz anders die Alexandertechnik, die ihren Namen zu Ehren F. M. Alexanders trägt. Alexandertechnik geht den Dingen auf den Grund - auf ihren wahren Grund. Und die Schlüssel dafür sind die "die Kenntnisse zur Primärkontrolle des allgemeinen Gebrauchs und zur Funktionsweise des Selbst" und die Kenntnis "über die Mittel-und-Wege, mit denen der einzelne Mensch fortlaufend sein allgemeines Wohlgefinden und sein Gesundheitsniveau heben kann." Dies schreibt F. M. Alexander 1946 in seinem Vorwort zur Neuauflage seines Buches THE USE OF THE SELF, das 2018 neu übersetzt unter dem bekannten Titel "Der Gebrauch des Selbst" bei BooksonDemand erschienen ist.


Auch F. M. Alexander hat die Zeit'des großen Krieges' und die Zeiten danach miterlebt. Die Vergleiche zwischen Mensch und Maschine waren ihm deshalb gar nicht einmal so fremd. "Ich blicke auf den Menschen wie auf eine beschädigte Maschine. Ich registriere die Mechanismen, die nur schlecht verwendet werden, und die schlechte sinnliche Ausrichtung und Kontrolle. Im Lichte meiner Erfahrungen stelle ich mir die Fragen, ob diese Maschine wieder richtig einstellt werden kann, ob eine neue, befriedigende sinnliche Ausrichtung und Kontrolle aufgebaut werden und ob der Zustand guter Koordination des geistig-körperlichen Organismus insgesamt wieder hergestellt werden kann. Anstatt also ganz direkt die spezifischen Symptome mit einer beliebigen Heilmethode beseitigen zu wollen, ist es mein Anliegen, den Organismus insgesamt wieder so einzustellen, dass die speziellen Symptome im Laufe des Prozesses verschwinden und sehr wahrscheinlich auch nicht wieder auftauchen, wenn die neuen Bedingungen erhalten bleiben", heißt es in "Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen" (BooksonDemand, 2018), der Neuübersetzung ins Deutsche von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIVIDUAL.


Welcher Weg ist also zu favorisieren, um die Menschheit fit für die Zukunft zu machen? Sollen wir uns wirklich zu einer Menschmaschine weiterentwickeln, wie Tom Tykwer es in Babylon Berlin skizziert hat und wie es ganz offensichtlich der Weg ist, den derzeit die Gesellschaft zu gehen gewillt ist ? Oder soll der Mensch dahingehend erzogen werden, dass er sich den Herausforderungen der Zukunft aus sich selbst heraus gewachsen zeigt? Die Alexandertechnik ist nämlich in erster Linie "eine Methode zur konstruktiven Erziehung", wie sie Prof. John Dewey in seinen einleitenden Worten zu CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIVIDUAL beschrieben hat. Weiter heißt es in seinem Vorwort: "Ihr eigentlicher Anwendungsbereich sind die jungen Menschen, die heranwachsenden Generationen. Sie sollen so früh wie möglich in ihrem Leben ein hohes Niveau sinnlicher Wahrnehmung erlangen und dazu befähigt werden, sich selbst richtig zu beurteilen. Wenn einmal ein angemessener Teil einer neuen Generation richtig koordiniert sein wird, werden wir das erste Mal die Gewissheit haben, dass in der Zukunft Männer und Frauen wirklich in der Lage sein werden, auf ihren eigenen Füßen zu stehen, ausgerüstet mit einem geistig-körperlichen Gleichgewicht, das wirklich zufriedenstellend ist. Sie werden dann in der Lage sein, dem Hin und Her und den Eventualitäten ihrer jeweiligen Umgebung mit Leichtigkeit, Selbstvertrauen und Fröhlichkeit entgegenzutreten, und nicht mit Angst, Verwirrung und Unzufriedenheit.“


Bis bald

Dein Großvater








Aktuelle Einträge
Archiv
Schlagwörter
Folgen Sie uns!
  • Facebook Basic Square
  • Twitter Basic Square
  • Google+ Basic Square
bottom of page