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Im Brennglas der Alexandertechnik: Berührungen


Liebe Marie,

"eine zärtliche Berührung tötet 1000 Stresshormone." Dies sagt Jule in dem Film '303' von Hans Weingartner zu Jan. Und im Untertitel eines Zeitungsberichts in der Westfälischen Rundschau vom 2. Januar 2021 heißt es: "Ohne Körperkontakt wird der Mensch krank." Körperkontakt fördere die Ausschüttung der Botenstoffe Dopamin und Oxytocin, die das Wohlbefinden steigern. Die Herzen von Menschen, die sich regelmäßig umarmen, schlagen ruhiger und der Blutdruck und der Wert des Stresshormons Cortisol seien niedriger. "Berührungen", so der Haptikforscher Martin Grunwald von der Universität Leipzig, " wirken sich positiv auf die Gesundheit aus."


Ist es angesichts dieser Zusammenhänge verwunderlich, dass der Krankenstand in unserer Gesellschaft immer neue Höhen erreicht und immer neue Krankheiten zum Vorschein kommen? Berührung und Körperkontakt sind nicht erst, seitdem das Coronavirus unsere Welt mit Abstandsregel, Mundschutz und Lockdown in den Griff genommen hat, in unserer Zivilisation auf dem Rückzug. Und auch die Fähigkeit des Menschen, haptische Eindrücke richtig wahrzunehmen und einzuordnen, hat schon länger abgenommen, was dazu geführt hat, dass der Mensch nicht mehr so gut die Position der einzelnen Teile seines Organismus zueinander bestimmen kann. Die Ergebnisse dieser Entwicklung sehen wir tagtäglich vermehrt auf unseren Straßen: Eine große Anzahl von Menschen, die verzogen in ihrer Gestalt und unkoordiniert in ihren Bewegungen sind.


Berührung an sich wirkten sich positiv auf die Gesundheit aus, hatte ja der Haptikforscher Grunwald oben festgestellt. Und auch in der Alexandertechnik führt Berührung in letzter Konsequenz zu Gesundheit und Wohlbefinden. Zum Einen bringt der Alexandertechniklehrer mit seinen Händen die einzelnen Teile des Organismus wieder an ihren angestammten Platz, von dem sie zuvor verschoben worden waren, und koordiniert sie neu. Zum anderen werden so seinem Schüler die richtigen kinästhetischen Erfahrungen vermittelt, die mit dem neuen Gestaltaufbau und den neu koordinierten Bewegungen verbunden sind. Erst mit einer zuverlässigen sinnlichen Wahrnehmung, insbesondere mit zuverlässigen kinästhetischen Wahrnehmungen, ist es nämlich überhaupt möglich, seinen individuellen Gebrauch so zu verändern, dass das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken nicht länger gestört wird.


Die körperliche Berührung sei ein ganz besonderer Stimulus. (Die Haut ist nun einmal flächenmäßig das größte Sinnesorgan.) Wer derzeit eine Abneigung gegen körperliche Nähe habe, für den gebe es auch noch andere soziale Kontaktmöglichkeiten, die eine nicht weniger positive Wirkung zeigten: Augenkontakt zu den Mitmenschen oder ein gutes Gespräch seien auch mit der Abstandsregel möglich. Dies erklärt die Neurobiologin Inga Neumann von der Universität Regensburg in dem Zeitungsartikel.


Ich befürchte jedoch, liebe Marie, dass davon nicht mehr viel zu erwarten ist. Wir müssen nämlich feststellen, dass es heute schon für nicht wenige Menschen eine Belastung darstellt, dem Gegenüber in die Augen zu schauen oder von ihm angeschaut zu werden. Und für viele ist es inzwischen zur Gewohnheit geworden, achtlos ohne Gruß an den Menschen vorüber zu gehen. Die augenblickliche Situation wird dieses Verhalten eher noch verstärken, als dass der Augenkontakt und die Aufnahme eines Gesprächs - und wenn es nur so belanglos ist, wie das kurze Gespräch unten - zu den Rettungsankern werden, die sich die Neurobiologin erhofft:

A: "Wie geht's?"

B: "Muss. Und selbst?

A: "Muss. Und selbst?

B: "Muss. ..............?"

A: ".........."

Bis bald

Dein Großvater


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