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Im Brennglas der Alexandertechnik: Arbeiten im Homeoffice


Liebe Marie,

die Geschichte der industriellen Revolution nimmt derzeit eine neue Wendung. Ihr erstes Symbol war im 18. Jahrhundert die Dampfmaschine. Mit ihrer Erfindung und Weiterentwicklung wurde ein Prozess im produzierenden Gewerbe in Gang gesetzt, "bei dem Maschinen zunehmend die menschliche Arbeit ersetzten". Symbol ihrer zweiten Stufe war das Fließband, was eine "arbeitsteilige Massenfertigung in spezialisierten Arbeitsschritten" ermöglichte, die "zunächst noch durch Menschenhand durchgeführt, dann aber zunehmend automatisiert" wurden. Die Erfindung des Computers markiert die Stufe der Industrie 3. Elektronische Datenverarbeitung macht den Einsatz von computergesteuerten Robotern und Automaten möglich und führt zu mehr Präzision in den Arbeitsprozessen. Und was wir gerade erleben, ist die nächste Stufe dieser revolutionären Entwicklung: Durch weltweite Vernetzung ermöglicht das Internet einen Intormationsaustausch "zwischen intelligenten und selbst lernenden Maschinen sowie zwischen Mensch und Maschine". So ist es in der Westfälischen Rundschau vom 31. Oktober 2020 nachzulesen.


Mit der weltweiten Vernetzung ist ein Problem aufgetaucht, das die Welt ins Chaos zu stürzen droht: Viren, die sich pandemisch ausbreiten. In der Computerwelt ist ein Wettlauf zwischen immer neuen Viren und den entsprechenden Virenschutzprogrammen entstanden. Und auch in der realen Welt sieht man sich derzeit gewungen, der pandemischen Ausbreitung von Sars-CoV-2 mit einem breiten Maßnahmenkatalog zu begegnen. Eine dieser Maßnahmen ist das Arbeiten im Homeoffice.


Uns stellt sich in diesem Zusamenhang die Frage, ob die Alexandertechnik auch per Videokonferenz vermittelt werden kann. Der Alexandertechniklehrer Lawrence Smith bezieht zu dieser Frage in seinem letzen Blog vom 2. Oktober eindeutig Stellung: "Die Arbeit mit den Händen an den Klienten ist in der Alexandertechnik von essentieller Bedeutung." Er zählt dann vier Bereiche auf, in denen die verbale Instruktion nicht in der Lage ist, die manuelle Arbeit zu ersetzen: Wenn es darum geht,

  • die Aufmerksamkeit eines Schülers auf einen bestimmten Punkt zu richten;

  • die Intentionen, Emotionen und die sozialen Aspekte der Lehrerverhaltenweisen auf den Schüler zu übertragen;

  • auf etwas hinzuweisen (Manuelle Hinweise seien sehr viel präziser als verbale.)

  • Bewegungen für den Schüler auszuführen, wodurch die Gefahr reduziert werde, dass der Schüler in seine alten, gewohnten Verhaltensweisen zurückfalle.

Ist es denkbar, dass die manuelle Arbeit in irgendeinem dieser Bereiche ersetzt werden könnte? Könnten etwa Roboter die eine oder andere Aufgabe übernehmen? Sind Videokonferenzen in der Alexandertechnik eine Option? Auf den ersten Blick könnte man zu der Ansicht gelangen, dass mit Videokonferenzen durchaus neue, positive Wege eröffnet werden, zumal man davon ausgehen kann, dass das visuelle Vorbild eines Alexandertechniklehrers so gut ist, wie es besser nicht sein kann. Nur gilt es, dabei zu beachten, was F. M. Alexander in "Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen", der deutschen Neuübersetzung von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIVIDUAL, BooksonDemand, 2018 über den Prozess der Imitation geschrieben hat: "Lehrer und Schüler haben die falsche Vorstellung, dass ein Schüler, der seinen Lehrer dabei beobachtet, wie er erfolgreich etwas vormacht, in der Lage ist, das gleiche zu tun und dabei ebenfalls erfolgreich zu sein." Nun besitzen die Charakteristika des Alexandertechniklehrers ja zweifelsohne einen überragenden Wert. Der Schüler "müsste (aber) an der Person, die ihm als Vorbild dient, sehr genau studieren, wie sie ihren geistig-körperlichen Organismus verwendet. (..) Und zweitens wäre es notwendig, (..) dass der Schüler über denselben allgemeinen Gebrauch seines Organismus und über dasselbe Niveau bei dessen Gebrauch verfügt wie der (Lehrer), den er zu imitieren sucht."


Kann vielleicht in naher Zukunft ein Roboter "die Aufmerksamkeit eines Schülers auf einen bestimmten Punkt richten oder Intentionen, Emotionen und soziale Aspekte auf ihn übertragen? Daniel Bunse hat im Bereich Robotik ein Start-up-Untenehmen gegründet. Er "ist davon überzeugt, dass Roboter viel stärker als bisher den Alltag prägen werden. Roboter, die Spülmaschinen ausräumen oder in der Küche helfen - das wird alles kommen. Rasenmäher- und Staubsaugerroboter sind für viele schon jetzt selbstverständlich", wird er in der Westfälischen Rundschau vom 2. November 2020 zitiert.


Damit wird aber auch gesagt, dass noch 'viel Wasser den Rhein herunterfließen' muss, bevor Roboter eine Art von Bewusstsein entwickelt haben und auf der Gefühlsebene aktiv werden können. So wird es noch lange Zeit den geschickten Händen eines Alexandertechniklehres überlassen bleiben, eine fehlerhafte und trügerische sinnliche Wahrnehmung in eine zuverlassige zu verwandeln. Eine zuverlässige sinnliche Wahrnehmung des Einzelnen ist aber ein ganz entscheidender Baustein, wenn es überhaupt gelingen soll, einen individuellen Fehlgebrauch so zu verändern, dass das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken nicht länger massiv gestört wird.


In Bezug auf die gegenwärtige Pandemielage glaube ich auch nicht, dass für einen Alexandertechniklehrer die Notwendigkeit besteht, sich mit seiner Arbeit ins Homeoffice zurückzuziehen und sich so auf die akustische und visuelle Informationsübertragung zu beschränken und auf den in der Alexandertechnik äußerst wichtigen Weg der taktilen Informationsübertragung zu verzichten. Der Alexandertechniklehrer hat sich einen solch ausgezeichneten allgemeinen Gebrauch zugelegt, dass alle Systeme, Mechanismen und Funktionen seines Organismus auf einem hohen Niveau arbeiten, also auch sein Immunsystem. Wenn es doch zu einer Infektion kommen sollte, wird er diese problemlos überstehen und nach der üblichen Zeit wieder einsatzfähig sein, ohne seine Klienten zu gefährden. Ein Restrisiko wird hier wie überall immer bleiben. Damit werden leben müssen.


Meiner Meinung nach ist es im Gegenteil sogar wichtig, dass der Alexandertechniklehrer in der augenblicklichen Lage die Rolle des Dr. Rieux aus dem Roman von Albert Camus "Die Pest" übernimmt. Mit der Alexandertechnik können nämlich die Menschen auch so fit gemacht werden, dass ihr Immunsystem mit dem teuflischen Virus fertig wird, ohne die schweren Symptome auszubilden.


Bis bald

Dein Großvater


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