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IM BRENNGLAS DER ALEXANDERTECHNIK: Angst


Liebe Marie,

"Angst ist die Flamme unserer Zeit, und die wird reichlich geschürt." Dieser Satz Konstantin Weckers hat tatsächlich nichts an Gültigkeit verloren. Das Schlagen der Angsttrommel ist in diesen Zeiten zu einem wahren Trommelfeuer geworden.


Nun ist "Angst ein Synonym für Stress", wie Hans Selye, ein ungarischer Endokrinologe (1907-1982), festgestellt hat. Er hatte 'Stress' als "jede unspezifische Reaktion des Körpers auf jede an ihn gestellte Anforderung" definiert (Dr. Jenna Macciochi, 'Das Immunsystem - Der Schlüssel zur Gesundheit", Goldmann Verlag 2021). Nach Hans Selye gebe es nur eine biologische Stressreaktion, aber eine schier unendliche Anzahl an Ursachen, die Selye 'Stressoren' genannt hat. Einer dieser Stressoren ist Angst. Stress könne durch unsere Umwelt, unseren Körper, ja sogar durch unsere Gedanken ausgelöst werden.


In der Wissenschaft werden zwei Arten von Stress unterschieden. Als 'Eustress' kann der Stress angemessen und normal sein, wenn es sich um ein kurzzeitiges akutes Ereignis handelt, das den Stress auslöst. Dann ist er "ein Geschenk der Mutter Natur", so Dr. Macciochi, ein Geschenk, das uns warnt, motiviert, aufmerksam sein lässt, unsere Widerstandskräfte stärkt und es uns ermöglicht, bis an unsere Grenzen und darüber hinaus zu gehen. "Stress wird (jedoch) negativ, wenn wir ständig mit Herausforderungen konfrontiert werden, von denen wir uns nicht angemessen erholen." Es ist dieser 'chronische Stress', der "unsere Gesundheit (leicht) beeinträchtigen kann". Bei Dauerstress befindet sich der Organismus "in einem beständigen Kampf- oder Fluchtmodus, was eine große Belastung für den Organismus darstellt, weil in diesem Modus Heilung und Schutz zu kurz kommen oder sogar ganz abgeschaltet sind. Wenn Stressoren ständig präsent sind, wird auch die Immunität in Mitleidenschaft gezogen.


Wenn der Körper dazu neigt, das Signal 'Stop!' zu überhören und dafür übertrieben stark auf 'Los' reagiert, gerät die gesamte Stressreaktion aus den Fugen." Es ist ganz offensichtlich so, dass das Stopp-Signal eine wesentliche Funktion im menschlichen Organismus hat. Diese Zeichen zu missachten, lässt z. B. "die gesamte Stressreaktion aus den Fugen" geraten. Und wir erlangen erst dadurch die "Herrschaft über die Bewegung", dass störende Reflexe durch Hemmung ausgeschaltet werden, wie wir auch nur so Selbstbeherrschung erlangen können. (Dore Jacobs, "Die menschliche Bewegung", Kallmeyer Verlag, 1985)


Nun kann man Angst auch als einen Reflex betrachten. Dann könnten wir der Angst tatsächlich durch Hemmung beikommen. In der Tat ist in der Alexandertechnik die Hemmung der sofortigen Reaktion auf einen eintreffenden Reiz die Basis für alles weitere, was schließlich zu einem Gebrauch führt, in dem das natürliche Verhältnis zwischen Kopf, Hals und Rücken immer weniger und immer seltener gestört wird. Die Alexandertechnik macht der Angst auf zweierlei Weise den Garaus: Zum einen kann der Angstreflex mit der sich mehr und mehr entwickelnden Kraft zur Hemmung unter eine bewusste Kontrolle gebracht werden und zum anderen entwickelt sich im Laufe der Ausbildung der Technik ein Selbstvertrauen, das der Angst nur noch wenig Chancen lässt.


Eine Form von Angst ist das Lampenfieber mit seinen äußerst unangenehmen Folgeerscheinungen: "Der Atemrhthmus wird gestört; die Verdauungsprozesse geraten durcheinander – im Extremfall kommt es zu Erbrechen; es stellt sich das Gefühl ein, einen trockenen Mund zu haben; der Betroffene beginnt, heftig zu schwitzen; es ist zu erkennen, dass verschiedene Muskeln sich im Zustand großer Anspannung befinden, insbesondere die Bauchmuskeln und die Muskeln im oberen Brustbereich" (Michael McCallion, The Voice Book, Faber & Faber, 1989). In "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert" (BooksonDemand, 2018), der deutschen Erstübersetzung von MAN'S SUPREME INHERITANCE beschreibt F. M. Alexander im Zusammenhang mit Lampenfieber eine Situation, in der sich seine Technik ausgezahlt hat:"Ich hatte mich entschlossen, die von mir vertretenen Prinzipien auszutesten. Dazu organisierte ich 1902 Aufführungen von Shakespeares „Hamlet“ und dem „Kaufmann von Venedig“. Junge Männer und Frauen, die vorher noch nie auf irgendeiner Bühne gestanden hatten, erhielten von mir spezielle Trainingslektionen entsprechend der Richtlinien, die ich oben erläutert habe. Diese jungen Leute wurden nach den Prinzipien einer bewussten Steuerung und Kontrolle geschult, die ich damals schon entwickelt und ausprobiert hatte. Kritiker und auch meine Freunde erwarteten natürlich am Abend der ersten Aufführung, dass sie vor allem eine Zurschaustellung von Lampenfieber sein würde. Wie sehr sie sich getäuscht hatten! Keiner meiner jungen Studenten hatte auch nur einen Anflug dieser panischen Reaktion. Als es endlich soweit war, auf die Bühne zu treten, erschien ihnen die Vorstellung von Lampenfieber als eine blanke Absurdität. Man kann sogar sagen, dass sie gar nicht verstanden haben, was mit einem solchen Zustand gemeint sein könnte, obwohl ich an den Aufführungsabenden selbst keinen Souffleur zugelassen habe! Für mich war dies eine der überzeugendsten, jemals von mir gemachten Demonstrationen dieser wunderbaren Kontrolle und Selbstbeherrschung, die man erreichen kann, wenn man meine Prinzipien konsequent umsetzt."


Einen anderen Lösungsweg, um mit seiner Angst fertig zu werden, findet 'Tomas' in Milan Kunderas Roman 'Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins': "Übrig blieb für Tomas einzig die Angst vor den Frauen. Er begehrte sie, aber er fürchtete sich vor ihnen. Er musste einen Kompromiss zwischen Angst und Verlangen finden und nannte ihn 'erotische Freundschaft'."


Bis bald

Dein Großvater


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