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Im Brennglas der Alexandertechnik: Über das Denken


Liebe Marie,

"die Gedanken sind es, die das Leben des Menschen glücklich oder unglücklich machen." Diesen Aphorismus hat mir dieser Tage eine Freundin auf einer Postkarte ans Herz gelegt. Und in Hans Weingartners grandiosem Film '303' hält Jan folgenden Monolog: "Der Mensch ist das einzige Lebewesen auf diesem Planeten, dass sich permanent den Kopf über sich selbst zerbrechen kann. Über seine Ängste, seine Nöte, seine Leiden. Er denkt an seine Vergangenheit, seine Zukunft, was er falsch gemacht hat, was er richtig gemacht hat. Wir denken, denken, denken. Die Gedanken kommentieren und bewerten ununterbrochen alles, was du tust. 16 Stunden am Tag. Jeden Tag in der Woche." Und diesem beständigen Gedankenfluss müsse sich der Mensch von Zeit zu Zeit entziehen, weil er sonst daran zu zerbrechen drohe, führt Jan weiter aus. Der Mensch entziehe sich dem unablässigen Gedankenstrom gerne durch den Konsum von Alkohol oder anderen Rauschmitteln. Auf diese Weise "Urlaub vom Ich" zu machen, lasse ihn dann das nächste Gedankengewitter aushalten. Und immer so weiter. Jule, seine Gesprächspartnerin, gibt zu bedenken, dass die Drogen dem Menschen auf lange Sicht schaden: "Schau dir doch die Leute an, die jahrelang Drogen genommen haben. Die sind doch irgendwann leer, gar nicht mehr da, irgendwie." Es müsse doch auch einen anderen Weg geben.

Wie also müsste der Weg aussehen, der zu Gedanken führt, die glücklich machen? In F. M. Alexanders Werk 'Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen', der Neuübersetzung ins Deutsche von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIVIDUAL (BooksonDemand, 2019) findet sich der eine oder andere wichtige Hinweis.

Schaffe die Bedingungen für ein lebenslanges Wachsen: Dafür sei es notwendig, dass wir lernen, bei allen unseren Handlungen unsere geistig-körperlichen Mechanismen bewusst und allgemein koordiniert einzusetzen. Dies stelle "an die Fähigkeit des Einzelnen eine echte und niemals endende intellektuelle Herausforderung zur konstruktiven Kontrolle dar. (..) Für die fundamentalen bewussten geistig-körperlichen Prozesse gibt es (nämlich) kein Ende. Sie wiederholen sich, einer Endlosschleife gleich, beständig und garantieren wirkliches Wachstum und wirkliche Entwicklung. Dies gilt für alle Tätigkeiten des Lebens. Aus beständigem Wachstum und aus den Prozessen konstruktiver Kontrolle entwickeln sich bei all diesen Tätigkeiten neue geistig-körperliche Gebrauchsweisen. Sie sind die Garantie für eine geistig-körperliche Erscheinungsform, die man im Allgemeinen 'glücklich sein' nennt."

Gib dich niemals zufrieden mit dem, was du bereits weißt: "Wenn ein Mensch den Punkt erreicht hat, an dem er für sich zu dem Schluss kommt, dass er eigentlich alles über ein Thema weiß, entscheidet er sich auch dafür, bewusst oder unterbewusst, dass es für ihn darüber nichts mehr zu lernen gibt, und er beginnt auf der Stelle, seine erworbenen Kenntnisse wieder zu verlieren." Dass sich der Mensch unter den gegenwärtigen Zivilisationsbedingungen seine Lernfähigkeit erhält, ist allein schon deshalb notwendig, weil ein Organismus sich im beständigen Wandel befindet, also auch der menschliche Organismus. Bei Tieren und Pflanzen sind die Ergebnisse des Wandlungsprozesses vorprogrammiert. Der Mensch hat die Freiheit erworben, die veränderten Bedingungen wahrzunehmen und sich dann individuell an sie anzupassen (Sind Wahrnehmung und Anpassung nicht genau die beiden Eckpfeiler für Lernen?). Dies hat zur Folge, dass der Mensch dabei Schaden nehmen kann oder nicht, je nachdem wie er sich an die veränderten Verhältnisse anpasst. Wenn er bei dem Anpassungsprozess darauf achtet, dass er nicht das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken stört, sind die besten Voraussetzungen vorhanden, um ein Leben lang gesund zu bleiben. Kann es ein höheres Glück auf Erden geben?

Gib der Monotonie keine Chance: "Jemand hat einmal gesagt, dass Monotonie das Sterbebett des Lebens sei und hat sich dabei auf eine monotone Umgebung bezogen, in der ein Mensch lebt und sich bewegt." Es gebe jedoch noch eine Art von Monotomie, die noch sehr viel schädlicher ist: Die Monotonie "im Inneren des geistig-körperlichen Selbst eines Menschen". Zu einer solchen Monotonie komme es, wenn "mit den fehlenden neuen Erfahrungen auch die entsprechenden Empfindungen ausbleiben, die Wachstum und Beweglichkeit im Inneren des Organismus von Geburt an begleitet haben", so F. M. Alexander. Und weil Monotonie an sich schon unglücklich macht, ist folglich auch der Monotonie im Inneren des geistig-körperlichen Selbst Einhalt zu gebieten, indem wir die Bedingungen schaffen und erhalten, die uns beweglich halten und die unsere Wahrnehmungsfähigkeit schärfen.

Bringe den normalen, alltäglichen Aktivitäten des Lebens ein bewusstes Interesse entgegen: "Man hat uns leider beigebracht, dass alle normalen Handlungen im Leben, die zwingend notwendig sind und deshalb so oft wiederholt werden wie keine anderen, unterbewusst und automatisch zu geschehen haben. Deshalb ist man ihnen gegenüber auch gleichgültig geworden. (....) So haben wir allmählich das Vermögen verloren, diesen normalen und natürlichen Aktivitäten des Lebens ein bewusstes Interesse entgegenzubringen und aus ihnen Freude und Vergnügen zu ziehen. Es reicht uns nicht mehr, einfach nur zu gehen, hinzuhören oder hinzusehen." In die Reihe der alltäglichen Lebensaktivitäten gehören z. B. auch das Stehen, Sitzen, das Aufstehen und Sich-setzen, das Liegen oder das Kauen und Schlucken, die wir bewusst wahrnehmen sollten, oder das Atmen, dem wir als stiller Beobachter nachspüren können. Wenn all diesen Tätigkeiten die ihnen gebührende Aufmerksamkeit entgegenbracht würde, könnte sich keine Langeweile oder Monotonie breit machen, und man müsste nicht "bei weniger normalen und weniger nützlichen Aktivitäten" Zuflucht suchen, die zwar einen gewissen Nervenkitzel erzeugen, die aber sehr oft auch schädlich sein können. Und es besteht auch kein Bedürfnis, nach äußerer Anregung und nach immer neuen Vergnügungen zu suchen, die noch ausgefallener sind als die vorherigen.

Bewusste Wahrnehmung an sich und bewusstes Wahrnehmen, wie ich stehe, gehe oder sitze, sind schon ausfüllend und damit äußerst zuträglich für das Glücksempfinden. Es steigert sich noch beträchtlich, wenn ich zudem gelernt habe, diese Aktivitäten bewusst zu steuern und zu kontrollieren. Deshalb:

Erlerne es, die Mechanismen deines Organismus bewusst zu steuern und zu kontrollieren: "Für Menschen, die schlecht koordiniert sind, ist es charakteristisch, dass sie sich mit bestimmten Fehleinstellungen ihres Organismus durch das Leben kämpfen. Und diese Fehleinstellungen werden sich Tag für Tag, Woche für Woche weiter verschlechtern, solange sie erhalten bleiben. Sie fördern jenen unbefriedigenden Zustand, den wir 'unglücklich sein' nennen." (......) Deshalb werden die Chancen dieser Menschen, Glück zu empfinden, mit der Zeit weiter abnehmen und außerdem werden ihre Glückserfahrungen von immer kürzerer Dauer sein." Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass wir, wenn es gelingt, diese Fehleinstellungen zu korrigieren, alle Chancen zum Glücklich-sein haben.

Mit der Alexandertechnik gelingt es, diese Fehleinstellungen rückgängig zu machen. Ausgehend von der Primärkontrolle des natürlichen Verhältnisses von Kopf, Hals und Rücken - in der Tat lassen das Austeilen der Steuerungsbefehle zur Primärkontrolle und die Aufmerksamkeit für den Gebrauch der dabei verwendeten Mechanismen wenig Spielraum für Monotonie oder Langeweile - können mit dieser Technik alle Teile des Organismus wieder justiert und an ihren angestammten Platz gebracht werden. Sie arbeiten dann wieder in Harmonie und zu ihrem gegenseitigen Wohle zusammen. So werden die besten Voraussetzungen für Erfolgserlebnisse geschaffen. Und Erfolg ist, wie jeder von uns weiß, äußerst zuträglich für Glückserfahrungen. Das laufende Checken des aktuellen Gebrauchs bei unseren jeweiligen Tätigkeiten und die eventuelle Korrektur dieses Gebrauchs, etwa beim Gehen, Joggen oder Sprechen, werden mit der Alexandertechnik zu einer nicht versiegenden Quelle für Erfolgserlebnisse.

Und auch in dem Film '303' finden sich noch zwei Hinweise zum Glücklich-sein: "Wir lieben es zu teilen. Der Körper schüttet massig Glückshormone aus, wenn wir teilen." Und mit jeder zärtlichen Berührung würden tausende von Stresshormonen abgebaut. Wir können diesen Aussagen Jules durchaus Glauben schenken, liebe Marie, denn sie ist in dem Studienfach Biologie bewandert.

Bis bald

Dein Großvater

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