top of page
Empfohlene Einträge

Im Brennglas der Alexandertechnik: Ein künstliches Kniegelenk


Liebe Marie,

ein Hagener Lokalredakteur hat neulich in einer Glosse im Lokalteil der Westfälischen Rundschau davon gesprochen, dass er nach Ansicht seines Orthopäden direkt auf "ein künstliches Kniegelenk zusteuere". Zunächst habe sich der Redakteur ausgemalt, dass er mit einem neuen Kniegelenk wieder das tun könne, was ihm sein Leben lang Spaß gemacht habe, Joggen und Fußball oder Tennis spielen. Nur habe ihn der Orthopäde auch darauf hingewiesen, dass ein künstliches Gelenk auch nicht für die Ewigkeit gemacht ist. So wolle er sich nun mit dem Gedanken anfreunden, sich von all den Sportarten zu verabschieden, "die einem Knie nicht gut tun". Und ein früherer Westfalenmeister im Crosslauf, der inzwischen am Knie operiert worden ist, empfiehlt das 'Slow Jogging' als eine "gelenkschonende Alternative zum Jogging". Wenn er normal jogge, habe er immer noch Schmerzen im Knie. Beim 'Slow Jogging' sei jedoch alles gut. So kann man es im Hagener Lokalteil der Westfälischen Rundschau vom 20. Juni 2020 nachlesen.

Aber kann man überhaupt sagen, dass eine Sportart einem Knie per se nicht gut tut? Gibt es umgekehrt Sportarten, die eindeutig nicht schädlich für die Knie, die Hüften, den Rücken oder die Schulter, was auch immer, sind? Ist tatsächlich "alles gut", wenn nur die Sportart gewechselt wird? Wenn wir zu diesen Fragen die Erkenntnisse, die F. M. Alexander in seinen vier Büchern dargelegt hat, zu Rate ziehen, finden wir dazu Hinweise, die uns vielleicht weiterhelfen können.

So hat F. M. Alexander nachgewiesen, dass der Mensch bei allem, was er tut, sich auf seine individuelle Art und Weise gebraucht. Wenn dieser individuelle Gebrauch dazu geführt hat, dass etwa das Knie in Mitleidenschaft gezogen worden ist, weil vielleicht die Muskelspannung im gesamten Organismus und speziell in den Beinen viel zu hoch ist, und wenn dieser Gebrauch nicht so verändert worden ist, dass er keinen Schaden mehr anrichten kann, werden sich auch beim 'Slow Jogging' früher oder später Symptome einstellen, die ganz und gar unerwünscht sind.

Im Normalfall wird sich wohl kaum ein Mensch absichtlich so gebrauchen, dass er zu Schaden kommt. Zu einem falschen Gebrauch kommt es, weil die sinnlichen Wahrnehmungssysteme allgemein und die kinästhetische Wahrnehmung im Besonderen inzwischen bei den meisten Menschen nicht mehr gut genug funktionieren. Für die Einschränkungen des Hör- und des Sehsinns sind zum Beispiel die Brille und neuerdings auch vermehrt das Hörgerät äußere Kennzeichen. Vor allem die Brille gehört mittlerweile zum Stadtbild so dazu wie augenblicklich noch der Mundschutz.

Und wenn die Menschen noch "die Lage des Körpers im Raum, die Stellung der Gelenke und der Körperteile zueinander, die Länge der einzelnen Muskeln und die Stellung des Kopfes" beurteilen könnten - sie wären tatsächlich dazu in der Lage, wenn ihre kinästhetische Wahrnehmung noch funktionstüchtig wäre - würden sie sich kaum so gebrauchen, wie viele es tun: Es käme nicht zu den einwärtsgedrehten Knien, nicht zu den einwärtsgestellten Füßen, nicht zur Buckelbildung, nicht zu den hängenden oder hochgezogenen Schultern, nicht zu den in sich verdrehten Körpern, nicht zu einer Beckenschiefstellung, nicht zur Verkürzung von Armen, Beinen oder Wirbelsäule, nicht zu einem Zurückziehen des Kopfes, nicht zur Versteifung des Halses, nicht zu den unterschiedlichen Verschiebungen des Fußgewölbes, nicht zu verzogenen Fingern, nicht zu einem verkniffenem Mund, nicht zu heruntergezogenen Mundwinkeln oder zusammengekniffenen Augen und, und, und.

Wenn sich die Dinge wirklich zum Besseren entwickeln sollen, muss also auch daran gearbeitet werden, die sinnliche Wahrnehmung und insbesondere die kinästhetische Wahrnehmung zuverlässiger zu machen. Mit einer Verbesserung der sinnlichen Wahrnehmung ist dann die Voraussetzung geschaffen, dass auch der allgemeine Gebrauch verbessert werden kann. Mit dem sich verbessernden allgemeinen Gebrauch verbessert sich die sinnlche Wahrnehmung weiter: Ein positiver Kreislauf oder eine Aufwärtsspirale, die erst zum Ende des Lebens in sich zusammenfällt, ist in Gang gesetzt.

Ein fehlerhafter Gebrauch konnte sich entwickeln, weil die instinktive Steuerung, die heute immer noch bei vielen Menschen vorherrschend ist, inzwischen bei weitem nicht mehr all den Anforderungen entspricht, die unsere moderne Gesellschaft an sie stellt. In einer Zeit, die im beständigen Wandel begriffen ist, genügt diesen Anforderungen allein eine bewusste Steuerung und Kontrolle. Durch eine solche bewusste Steuerung und Kontrolle in Verbindung mit der Fähigkeit zur Hemmung unserer allzu schnellen Reaktion auf einen Stimulus zum Einsatz unseres gewohnten Verhaltens, mit einer unter der Anleitung eines Alexandertechniklehrers beständig zuverlässiger werdenden sinnlichen Wahrnehmung und mit den Steuerungsbefehlen zur richtigen Primärkontrolle des natürlichen Verhältnisses von Kopf, Hals und Rücken wird es gelingen, nach und nach die Teile des Organismus so zu justieren, dass alle Mechanismen, Funktionen und Systeme des Menschen nach und nach wieder zufriedenstellend arbeiten. Und auch ein Lächeln wird wieder alle unsere Tätigkeiten begleiten, weil wir so auch eine Kontrolle über die Mundwinkel erlangt haben.

"Hauptsache ist" also nicht, "dass die Leute in Bewegung kommen und dabei bleiben", wie es der ehemalige Westfalenmeister im Crosslauf in dem oben erwähnten Artikel in der Westfälischen Rundschau anmerkt. Die Hauptsache ist es vielmehr, wie sich der Einzelne bei allem, was er tut, gebraucht. Und auch der Lokalredakteur sollte sich vielleicht "mit dem Gedanken anfreunden", wie er seinen allgemeinen Gebrauch verändern kann.

Bis bald

Dein Großvater

Aktuelle Einträge
Archiv
Schlagwörter
Folgen Sie uns!
  • Facebook Basic Square
  • Twitter Basic Square
  • Google+ Basic Square
bottom of page