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Im Brennglas der Alexandertechnik: "Stairways to Heaven" (Led Zeppelin)


Liebe Marie,

in "Stairways to Heaven", einem Song der Led Zeppelin, von dem es inzwischen zahlreiche Cover-Versionen gibt - das Projekt von Heart mit den New Yorker Philharmonikern ist meine Lieblingsversion -, lautet eine Textstelle: 'Yes, there are two paths you can go by / But in the long run there is still time to change the way you are on'. Es soll also noch genug Zeit bleiben, um den derzeit eingeschlagenen Weg zu verlassen. Zeit wird dafür wohl noch bleiben, aber sind wir auch fähig, einen anderen Weg zu gehen?

In "Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen" (BooksonDemand, 2018), der deutschen Neuübersetzung von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIVIDUAL entwirft F. M. Alexander das folgende Szenario: "Jemand macht sich auf den Weg. Er hat vor, eine Stadt zu besuchen, wo er verabredet ist. Er kommt an eine Stelle, an der sich der Weg gabelt. Ohne den richtigen Weg zu kennen, entscheidet er sich für den falschen. Als er erkannt hat, dass er sich verlaufen haben muss, kann er jemanden nach dem Weg fragen. Ihm wird gesagt, dass er die ganze Strecke bis zur Wegegabelung zurückgehen und den anderen der beiden Wege nehmen müsse. Auf dieser Straße werde er dann direkt in den Ort gelangen, den er suche. Was würden wir aber von jemanden halten, der zwar wie geheißen bis zu jener Wegegabelung zurückgegangen ist, dem es dann aber in den Sinn kommt, dass er letztendlich doch besser als sein Ratgeber Bescheid weiß und wieder auf der alten Straße in die gleiche falsche Richtung geht?"

F. M. Alexander benutzt dieses Szenario als eine Methapher, mit der er ein typisches Verhalten des Menschen beschreibt. Er hatte nämlich mit seinen Schülern wieder und wieder die Erfahrung gemacht, dass "das Vertrauen eines Schülers in seine Weise, die Dinge zu tun, nicht im mindesten von der Tatsache erschüttert (wird), dass seine Weise in der Vergangenheit niemals gut funktioniert hat. Sein Vertrauen erleidet auch keinen Riss, wenn der Lehrer ihn ganz behutsam darauf hinweist, dass sie auch in der Zukunft aus einem einfachen Grund niemals funktionieren kann: Seine Weise ist nämlich für das, was er im Sinn hat, gar nicht geeignet. Es ist tatsächlich so, dass das, was er für seine 'Schwierigkeit' hält, an sich gar keine ist. Was die Schwierigkeit ausmacht, ist seine Weise, an die Sache heranzugehen."

Und was veranlasst nun einen Menschen zu einem solch irrationalen Verhalten? Da ist zum einen das, was wir eine Gewohnheit nennen. Schon wenn jemand sich ein zweites Mal für einen bestimmten 'Weg' entscheidet, kann sich daraus eine Gewohnheit bilden, diesen Weg weiterhin zu beschreiten, den er kennt, der ihm vertraut ist und auf dem er eigentlich nichts Dramatisches erlebt hat. (Dass er umgekehrt ist, hat ihm diesen Weg sogar noch vertrauter gemacht.) Und mit einer Gewohnheit ist immer auch eine individuelle Art und Weise des Gebrauchs verbunden. Und Gewohnheit und Gebrauch seien sehr eng miteinander verzahnt. Dies schreibt F. M. Alexander in seinem letzten Buch "Die Konstante im Fluss des Lebens" (BooksonDemand, 2019), der deutschen Neuübersetzung von THE UNIVERSAL CONSTANT IN LIVING.

So stark eine Gewohnheit auch ist, wir könnten ihr durchaus widerstehen, wenn sich nicht eine Fähigkeit in uns zurückentwickelt hätte, über die F. M. Alexander in "Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen" dieses geschrieben hat: "Es hat den Anschein, dass durch unsere Ausbildungsmethoden in den Bereichen von Wissenschaft und Beruf ein Defekt in unseren Erziehungssystemen entsteht und sich festsetzt, auf den ich schon seit längerer Zeit hingewiesen habe. Es nur einen Defekt zu nennen, ist wahrlich eine starke Untertreibung für das, was der Verlust der Hälfte unseres geistig-körperlichen Rüstzeugs bedeutet. Denn nichts anderes ist das Ergebnis, wenn wir nach und nach den unverzichtbaren Prozess immer weniger einsetzen, den ich Hemmung genannt habe. Auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt wiederhole: Der verhältnismäßige Verlust dieser wertvollsten aller Fähigkeiten liegt hauptsächlich in den falschen Prinzipien begründet, die den Unterrichts- und Lehrmethoden in allen Bereichen zugrunde liegen. Diejenigen, die für die falschen Methoden verantwortlich zeichnen, haben nämlich eines nicht verstanden: Es ist äußerst wichtig, dass sich in allen Lebensbereichen der Wunsch, etwas zu tun, und die Fähigkeit, diesen Wunsch zu unterdrücken, - dass sich also die Willenskraft und die Fähigkeit zur Hemmung - die Waage halten."

Durch die Hemmung unserer bisherigen Reaktionsweisen ist es möglich, die sinnliche und insbesondere die kinästhetische Wahrnehmung so zu verändern, dass sie zu zuverlässigen Größen werden. Durch ihre Hemmung werden wir daran gehindert, bei allem, was wir tun, den eingefahrenen Empfindungen zu folgen, die sich zwar richtig anfühlen, die aber tatsächlich in die Irre leiten. Zudem ist die Fähigkeit zur Hemmung ein wesentliche Eigenschaft, um eine bewusste Steuerung und Kontrolle über den eigenen Gebrauch zu erlangen, so dass das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken nicht länger gewohnheitsmäßig gestört wird.

In "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert" (BoD, 2018), der deutschen Erstübersetzung von MAN'S SUPREME INHERITANCE heißt es dazu: "Wenn erst einmal die Fähigkeit zur bewussten Kontrolle erworben worden ist, ist es nicht zwingend, dass eine Gewohnheit überhaupt starr wird. Sie ist dann eigentlich gar keine Gewohnheit mehr, sondern eher ein Befehl oder eine Kette von Befehlen, die an die untergeordneten Stellen zur Körperkontrolle übermittelt werden."

Die zunehmende Fähigkeit, unsere Reaktionen zunächst einmal zu hemmen, eine sinnliche Wahrnehmung, auf die wir uns mehr und mehr verlassen können, eine Primärkontrolle, die das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken ungestört lässt, sind die Treppenstufen einer "Stairways to Heaven", die uns, liebe Marie, hoffentlich noch lange nicht "in den Himmel" bringen, die uns aber ein fröhliches, glückliches und selbstbestimmtes Leben bescheren werden.

Bis bald

Dein Großvater

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