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Im Brennglas der Alexandertechnik: Gesund leben


Liebe Marie,

besonders zu den Geburtstagen und zum Jahreswechsel wird Gesundheit zu einem heißen Thema. Die Westfälische Rundschau vom 11.Januar 2020 lässt dazu auf ihrer Seite Leben & Familie sieben Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben zu Wort kommen.

Ingo Fromböse, Professor für Prävention und Rehabilitation an der Sporthochschule Köln, umschreibt das Roux'sche Gesetz, wonach der Gebrauch die Funkton bestimmt, in dem Artikel so: Der Mensch besitze ein wunderbares biologisches Potenzial, das sich aber nur entwickelt, wenn es gebraucht wird, das jedoch verkümmert, wenn es ungenutzt bleibt. Daraus ergebe sich, dass wir zum größten Teil selbst über unsere Gesundheit bestimmen und nur zu sechs bis acht Prozent die Gene.

Nun hat F. M. Alexander zum Gebrauch herausgefunden, dass es nicht genügt, die jeweiligen Funktionen, Systeme und Mechanismen des Organsimus überhaupt zu gebrauchen, wesentlich ist vor allem, wie sie gebraucht werden. Wenn dabei das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken gestört wird, kommt es zu Problemen, Beeinträchtigungen, Einschränkungen, Defekten und schließlich entwickeln sich Krankheiten.

Der Leiter des Grönemeyer-Instituts D. Grönemeyer hat eine eher pragmatische Sichtweise von dem, was Gesundheit ist: Die Gesundheit gebe es eigentlich gar nicht. Gesundheit sei relativ, abhängig vom "subjektiven Wohlbefinden, von der Akzeptanz der eigenen Existenz und vom (selbst)bewussten Handeln" des Einzelnen. "Freude am Leben, Interesse an den Hobbys und wenigstens das Gefühl, zur Gemeinschaft zu gehören" seien Kriterien für das individuelle Gesundheitsniveau. Und dies lasse sich nicht verschreiben. Die Ärzte seien an dieser Stelle schlichtweg überfordert.

Eine solche Sichtweise von Gesundheit kann den Einzelnen zwar beruhigen und er kann sich einreden, dass doch alles einigermaßen in Ordung ist, obwohl er schon dieses oder jenes Zipperlein oder gesundheitliche Problem hat. Und er kann sich so mit seiner Situation irgendwie arrangieren, ohne sich grundlegend verändern zu müssen. Nur berücksichtigt eine solche Definition von Gesundheit nicht, dass der individuelle Gebrauch ohne Unterlass zum Guten oder zum Schlechten, für oder gegen den Menschen, arbeitet, wie F. M. Alexander in "Die Konstante im Fluss des Lebens"(BooksonDemand, 2019), der deutschen Neuübersetzung von THE UNIVERSAL CONSTANT IN LIVING geschrieben hat: "Es kann durch Demonstration belegt werden, dass der Einfluss der Art und Weise, wie wir uns gebrauchen, in jeder Sekunde unseres Lebens ohne Unterlass zu unseren Gunsten oder zu unserem Schaden wirksam ist. Deshalb ist es völlig irrational, weiterhin daran festzuhalten, dass sich der Gebrauch des Selbst nicht falsch entwickeln könnte. Eine 'gute' Art und Weise des Gebrauchs übt einen 'guten' Einfluss auf die allgemeine Funktionsweise aus. Dieser Einfluss ist nicht nur ohne Unterbrechung wirsam, er verstärkt sich sogar noch mit der Zeit und wird zu einer Konstanten, die das Funktionsniveau mehr und mehr anhebt und die Reaktionsweise weiter verbessert. Auf der anderen Seite übt eine 'schlechte' Gebrauchsweise einen ununterbrochenen negativen Einfluss aus, wodurch das Funktionsniveau nach und nach absinkt. Er wird zu einer Konstanten, die in jede Aktivität des Funktionsapparats eingreift, als Antwort auf einen Stimulus von außen oder auf einen inneren Stimulus. Jede Reaktion wird so auf schädliche Weise beeinflusst."

D. Grönemeyer spricht von einer gewissen Überforderung der Medizin. Die Alexandertechnik lehrt den Einzelnen, seinen Gebrauch so zu verändern und zu verbessern, dass er nicht länger in das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken eingreift. Dies führt dazu, das sich der Torso aufrichtet, der Kopf sich hebt und die Augen so Blickkontakt zu den Mitmenschen aufnehmen können. Dies ist einer der Schlüssel zu den lebensnotwendigen Sozialkontakten, die Grönemeyer oben auch angesprochen hat.

Ein Dritter, der zum Thema Gesundheit zu Worte kommt, beruft sich in seinem Statement auf Konfuzius und die Traditionelle Chinesische Medizin, "die von einem ganzheitlichen Konzept ausgeht. Krankheiten werden demnach als eine Störung des Gesamtorganismus begriffen." Die Mittel, mit denen einer solchen Störung begegnet würde, seien Formen der Körperertüchtigung wie Taiji und Quigong, Meditation und eine Ernährungsweise, die jeder Speise eine heilende Wirkung zuschreibt.

Das ganzheitliche Konzept, wonach Krankheiten "in einem großen Zusammenhang gesehen und behandelt werden müssen", finden wir auch bei F. M. Alexander. In "Die Konstante im Fluss des Lebens"schreibt er beisielsweise: "Jeder lebende Mensch ist eine geistig-körperliche Einheit. Er ist ausgestattet mit wunderbaren Mechanismen, durch die sich alle seine Reaktionen manifestieren, wenn die Mechanismen durch den Stimulus eines Wunsches oder eines Bedürfnisses aktiviert worden sind."

Die Traditionelle Chinesische Medizin behandelt Krankheiten schon seit Tausenden von Jahren unterbewusst. Demgegenüber verlangt der Alexanderlehrer von seinem Schüler absolute Wachheit und eine bewusste Mitarbeit, wenn es darum geht, dass der Schüler die Eine Krankheit - die Störung des natürlichen Verhältnisses von Kopf, Hals und Rücken - in den Griff bekommt. Dafür muss er nämlich zunächst einmal jegliche Reaktion hemmen, seine sinnliche Wahrnehmung schärfen und sich beständig bestimmte Befehle erteilen.

Auch die Hundertjährige hat mit einer unterbewussten Steuerung ihr ganzes Leben verbracht. Sie hat ihr hohes Alter wohl erreicht, weil sie nicht in die Fallstricke unserer Zivilisation geraten ist und sich so den natürlichen Gebrauch, den praktisch jeder Mensch mit auf seine Lebensreise nimmt, bis heute erhalten hat. Die Familie habe sich aus dem eigenen Garten versorgt, als Kind habe sie viel in der Natur gespielt, später Alkohol nur in Maßen getrunken, nie geraucht und bis heute Süßigkeiten gemieden. Wenn sie wegen ihrer Ablehnung von Alkohol und Zigaretten gehänselt worden sei, habe sie nein gesagt, nein, sie wolle das nicht. Mit dieser wertvollen Eigenschaft, nein sagen zu können - in der Alexandertechnik wird diese Fähigkeit Hemmung genannt und spielt eine ganz entscheidende Rolle, wenn es darum geht, das eigene Verhalten zu verändern und zu verbessern - und dem Gespür, was gut für sie ist, ist sie bis heute sehr gut gefahren, wie ihr hohes Alter bei guter Gesundheit und ihr Gesicht auf dem Zeitungsfoto belegen.

Die Vita des 57-jährigen Sängers der Dortmunder Punkband "The Idiots" lässt kaum erwarten, dass er etwas Wesentliches zum Thema Gesundheit beitragen könnte. Er habe so exzessiv gelebt, dass er "ein paar Mal mit Elektroschocks wiederbelebt" werden musste und dass er in die Psychiatrie eingewiesen worden ist. Und er habe auch vor den harten Drogen nicht Halt gemacht. Joggen und Fitnesstraining, die der Sänger für sich erwählt hat, um sein Leben in geordnetere Bahnen zu lenken, sind in den Augen F. M. Alexanders wahrlich nicht der Königsweg, um gesund zu leben, weil dabei ganz entscheidende Parameter nicht berücksichtigt werden: Die sinnliche Warhnehmung wird nicht geschärft, die falschen Reaktionen werden nicht gehemmt und die falsche Primärkontrolle des natürlichen Verhältnisses von Kopf, Hals und Rücken bleibt dabei unverändert. (Im zweiten Kapitel von "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit" (BooksonDemand, 2018), der deutschen Erstübersetzung von MAN'S SUPREME INHERITANCE begründet F. M. Alexander seine Kritik an der Fitnessbewegung noch sehr viel ausführlicher.)

Die Extremsportlerin Michele Ufer sei Expertin darin, Grenzen kennenzulernen und bewusst zu überschreiten. Es komme darauf an, keinen "Raubbau an sich selber zu betreiben". Für Michele Ufer spielt "Ausgewogenheit dabei eine zentrale Rolle": Ausgewogenheit im Handeln und in der Ernährung, Ausgewogenheit zwischen Belastung und Entlastung und ein ausgewogenes Zeitmanagement, das "Raum für sich selbst und die Pflege sozialer Kontakte" lässt. Im Organismus des Menschen macht sich Ausgewogenheit durch Koordination bemerkbar. Und ein koordiniertes Arbeiten des gesamten menschlichen Organismus ist abhängig von einem Selbstgebrauch, der nicht die primäre Kontrolle des natürlichen Verhältnisses von Kopf, Hals und Rücken stört. Dies hat F. M. Alexander wieder und wieder in allen seinen Büchern betont.

Frank Rosin, Koch im gleichnamigen Zwei-Sterne-Restaurant in Dorsten, vertritt die gewagte These, dass mit Auswahl und Zubereitung der Speisen "die Körperspannung besser wird". Und tatsächlich spielt der angemessene Muskeltonus beim Gebrauch eine wichtige Rolle. In seinem Werk "Mensch und Menschmaschine" schreibt N. Wieners: "Wenn eine Zweckhandlung richtig durchgeführt werden soll, müssen die einzelnen Glieder, die nicht direkt an der Zweckbewegung mitwirken, in einem gewissen Tonus gehalten werden, so dass sich geeignete Ansatzpunkte für die eigentlich bezweckte Muskelkontraktion finden." F. M. Alexander geht in "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit" auf die Gewohnheit ein, den Hals anzuspannen und zu versteifen. Er schreibt dann: "Diese Versteifung zeigt an, dass (ein solcher Mensch) bemüht ist, mit den Muskeln des Halses Aufgaben zu erledigen, für die eigentlich andere Muskeln seines Körpers vorgesehen sind, hauptsächlich die Muskeln des Rückens." Um einen solchen Fehlgebrauch abzustellen, ist aber ganz bestimmt mehr notwendig als ausgewählte Speisen und herausragende Kochkunst. Dafür bedarf es schon einer Umschulung mit der Alexandertechnik.

Dies sollte uns, liebe Marie, aber nicht davon abhalten, uns einmal persönlich von der Qualität des Restaurants zu überzeugen, um herauszufinden, ob "sich unsere innere Haltung verändert und wir zu neuen Menschen werden", wie Frank Rosin es in Aussicht stellt.

Bis bald

Dein Großvater

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