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Im Brennglas der Alexandertechnik: Arthrose im Knie oder der Hüfte


Liebe Marie,

eine als Zeitungsnachricht in der Westfälischen Rundschau getarnte Werbung hat erneut mein Interesse geweckt. Am 9. Dezember war dort zu lesen, dass es eine neue Therapie gebe, um den Gelenkkreislauf aus Knorpelverschleiß, Schmerzentwicklung, Bewegungsreduktion und gestörtem Knorpelstoffwechsel wenn nicht ganz zu unterbrechen, so doch wenigstens zu verlangsamen. Fünf bis zehn Millionen Menschen litten derzeit in Deutschland unter Knie- und Hüftschmerzen. Häufigste Ursache sei die Arthrose, der "Verschleiß" aufgrund des Alters oder der beruflichen Belastung oder eine Verletzung. Das in dieser Werbeanzeige empfohlene Therapeuticum nimmt für sich in Anspruch, dass es u. a. die Ursache für die Schmerzen - den Verschleiß - bekämpft.

Was ist aber die wirkliche Ursache dafür, dass Gelenkknorpel verschlissen werden können? Kann man das Alter oder den ausgeübten Beruf dafür verantwortlich machen, dass sich ein Knorpelschaden eingestellt hat, oder ist es letztendlich die individuelle Art und Weise, wie sich der Betroffene in seinem Beruf und bei seinen Aktivitäten im täglichen Leben gebraucht hat?

Das beworbene Therapeuticum will den "Knorpelverschleiß gezielt mit einem 3-fach Komplex aus Teufelskralle, Echtem Mädesüß und Giftsumach behandeln". Auch wenn dies damit in mehr oder weniger engen Grenzen gelingen könnte, bleibt die eigentliche Ursache für den Verschleiß - der falsche Gebrauch - durch den Einsatz des Mittels volkommen unangetastet. Um den eigenen schädlichen Gebrauch zu verändern, genügt es wahrlich nicht, täglich ein paar Tropfen eines beliebigen Präparates über die Mundschleimhauf aufzunehmen und sie dann wirken zu lassen.

Dazu ist vielmehr der bewusste Einsatz des ganzen Menschen erforderlich. Und dabei sind nicht unerhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, die F. M. Alexander in THE USE OF THE SELF (Die Übersetzung ins Deutsche ist unter dem Titel "Der Gebrauch des Selbst" im Karger Verlag erschienen) detailliert beschrieben hat, denen aber mit Hilfe eines kompetenten Lehrers der Alexandertechnik mehr oder weniger leicht begegnet werden kann.

Da stellt sich zunächst das Problem einer sinnlichen Wahrnehmung, die weitgehend auf Täuschungen beruht, und insbesondere einer kinästhetischen Wahrnehmung, die nicht mehr oder nur noch bruchstückhaft vorhanden ist: Die Menschen spüren schon lange nicht mehr, in welcher Relation sich die einzelnen Teile des Organismus zueinander befinden; und sie spüren auch nicht, dass sie ihre Muskulatur bei allen ihren Tätigkeiten sehr oft über die Maßen anspannen. Wenn aber die Muskeln übermäßig angespannt werden, führt dies zwangsläufig dazu, dass sich die jeweilige Gelenkverbindung verengt, weil sich Muskeln, die angespannt werden, gleichzeitig auch verkürzen und so die Gelenkteile der Verbindung zusammengezogen werden. Es kommt zu dem, was gerne als "Verschleiß" umschrieben wird: Der Gelenkknorpel, im Knie z. B. der Meniskus, wird mechanisch belastet.

Übermäßig angespannte Muskeln sind Kennzeichen eines zu hohen Krafteinsatzes bei der jeweiligen Tätigkeit, was das Ergebnis eines falschen und schädlichen allgemeinen Gebrauchs ist. Wenn wir aber unseren allgemeinen Gebrauch verändern wollen, werden wir mit einer weiteren Schwierigkeit konfrontiert: Der Gewohnheit. Mit der Gewohnheit verhält es sich nämlich so wie in dem Märchen der Gebrüder Grimm "Der Wettlauf zwischen Hase und Igel". Wie der Igel in dem Märchen ist die alte Gewohnheit immer schon da, wenn ein neues Handlungsmuster greifen soll und verhindert so von vornherein seinen Einsatz. Dies hatte F. M.Alexander in langen Selbstversuchen herausgefunden, als er seiner Stimmprobleme Herr werden wollte. Er hatte endlich als Ursache wahrgenommen, dass er jedes Mal, wenn er zum Sprechen ansetzte, seinen Kopf zurückzog und seinen Hals anspannte. Nur musste er feststellen, dass damit noch nichts gewonnen war. Obwohl er sich vornahm, nicht den Kopf zurückzuziehen und nicht den Hals anzuspannen, hatte sich seine alte Gewohnheit immer schon aufgedrängt, wenn er auch nur einen Gedanken auf das Sprechen verwendete.

Der Igel im Märchen hatte eine hinterhältige List angewendet, um dem Hasen vorzugaukeln, dass er im Wettlauf besiegt worden war. Die List, die F. M. Alexander einsetzt, um der Gewohnheit erst überhaupt keine Chance zu geben, kann man nicht anders als genial bezeichnen: Er verhinderte - hemmte - zunächst einmal jegliche Reaktion auf den Impuls zu sprechen, um die richtigen Mittel-und-Wege zu bedenken, die für das Sprechen notwendig sind: Die Primärkontrolle des natürlichen Verhältnisses von Kopf, Hals und Rücken, das Öffnen des Mundes, der Einsatz der Zunge und noch einiges andere mehr.

Es ist wahrlich eine große Herausforderung, die Dinge so zu tun, dass sie sich falsch anfühlen. Weil der Einzelne sich auf seine Wahrnehmungen wirklich nicht verlassen kann, ist dies aber genau das, was zu tun ist. "Bei jeglichem Versuch (...) den Gebrauch des Selbst zu verändern und zu verbessern, wird einem Scheitern der Weg bereitet, wenn man sich weiterhin auf das "Empfinden" verlässt, das unser altes gewohntes "Tun" auf vertraute Weise gesteuert hat und das sich richtig angefühlt hat." Dies hat F. M. Alexander in seinem Vorwort zu der Neuausgabe seines Buches THE USE OF THE SELF geschrieben. Und in "Die Konstante im Fluss des Lebens", BooksonDemand, 2019), der Neuübersetzung ins Deutsche von THE UNIVERSAL CONSTANT IN LIVING scheibt er: "Obwohl sich diese Erfahrungen zunächst falsch anfühlen, werden sie allmählich die Erfahrungen ersetzen, die sich richtig angefühlt haben. Mit der Zeit werden die neuen Erfahrungen dann bei den tagtäglichen Aktivitäten zu einer KONSTANTE bei seinem Selbstgebrauch."

F. M. Alexander musste sich dieser Herausforderung, das zu tun, was sich falsch anfühlt, ohne Hilfe von außen stellen. Mit einem gut ausgebildeten Alexanderlehrer ist dies für uns heute jedoch bedeutend leichter. Wenn wir schließlich mit seiner Hilfe gelernt haben, das primäre Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken zu steuern und zu kontrollieren, werden wir auch nicht länger zuviel Kraft bei unseren täglichen Aktivitäten aufwenden, sondern gerade soviel, wie nötig ist. Dies hat dann zur Folge, dass die Gelenke wieder frei beweglich werden, die Entzündungen in ihnen allmählich verschwinden und sich sogar die Gelenkknorpel regenerieren.

Bis bald

Dein Großvater

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