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Im Brennglas der Alexandertechnik: Schwindelgefühl


Liebe Marie,

wenn Patienten ihren Hausarzt aufsuchen, sei Schwindelgefühl eines der häufigsten Syptome, heißt es in einer Werbeanzeige für ein entsprechendes rezeptfreies Medikament in meiner Tageszeitung. Was mich an dieser Werbeanzeige interessiert hat, war die dazu gelieferte Erklärung für den Schwindel: "Für ein stabiles Gleichgewicht werden die Informtionen, die unsere Augen, unser Gleichgewichtsorgan im Innenohr sowie unsere Muskulatur über unsere Position im Raum liefern, im Gehirn verarbeitet und miteinander abgeglichen. Schwindelgefühle entstehen unter anderem dann, wenn eines (oder mehrere) dieser Sinnesorgane fehlerhafte Ergebnisse liefern, die nicht mit den übrigen Informationen übereinstimmen."

F. M. Alexander hätte diese Erklärung in der Tat voll und ganz unterschreiben können. In seinem Buch "Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen" (BooksonDemand, 2018), der deutschen Neuübersetzung von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIVIDUAL schreibt er dort u. a.: "Bei allen menschlichen Aktivitäten ist das Fehlen eines befriedigenden geistig-körperlichen Gleichgewichts eines der sehr auffälligen Kennzeichen einer schlechten Funktionsweise des Organismus. Und dieser Zustand fehlerhaften Gleichgewichts weitet sich allmählich noch aus. (...) Es hat fast den Anschein, dass wir diese Tatsache im Allgemeinen als unvermeidlich hinnehmen: Von einem bestimmten Alter an erwarten wir einfach, dass wir unser Gleichgewicht schlechter halten können, so wie auch davon ausgehen, dass mit der Zeit das Bauchgewebe erschlafft und sich ein Bauch entwickelt, der hervorsteht.

(....) Die Menschen gehen, ohne dass sie eine klares Verständnis von den Steuerungs- und Kontrollbefehlen haben, die bei der Tätigkeit Gehen zu einer zufriedenstellenden Koordination und Justierung der geistig-körperlichen Mechanismen führen. Wenn sich aber erst einmal ein oder mehrere Fehler in die Funktionsweise dieser Mechanismen eingeschlichen haben, sind die meisten Menschen nicht in der Lage, wieder ein solches Niveau zuverlässiger sinnlicher Wahrnehmung aufzubauen, das es ihnen ermöglichen würde, diese Defekte zu beseitigen." Dafür sei nämlich ein Umschulungsprozess unumgänglich, mit dem es gelingt, das geistig-körperliche Gleichgewichtsniveau in allen Lebensbereichen beständig zu verbessern.

Wenn jemand für sich erkannt hat, dass er mit Gleichgewichtsproblemen zu kämpfen hat, kommt es oft zu zwei unterbewussten Reaktionen. Zum einen sucht er, "die Dinge mit unangemessener Hast zu erledigen", weil er "den zunehmenden Gleichgewichts- und Kontrollverlust auf diese Weise ausgleichen" will. Zum anderen hat er "große Angst zu fallen und es entwickeln sich Versagensängste, weil die geistig-körperlichen Prozesse, die er bei seinen unterbewussten Bemühungen (richtig zu gehen) verwendet, unzuverlässig und unbeständig sind." Am Ende der Entwicklung stehe sehr oft eine schwere persönliche Krise.

Die Werbeanzeige in der Westfälischen Rundschau titelt: "Schwindel im Alter muss nicht sein." Und im Untertitel heißt es, dass eine frühzeitige Therapie wichtig sei. Ob eine Therapie mit dem in der Werbung empfohlenen Arzneimittel ratsam ist, darüber will ich mir kein Urteil erlauben. Die Reichweite des Medikaments wird allerdings wohl nur begrenzt sein, weil seine Einnahme unter dem Motto "Ich werfe eine Pille ein und alles kann gut werden" steht. Menschen greifen gerne unter diesem Motto zu Medikamenten, weil mit dieser Methode von ihnen nicht verlangt wird, dass sie sich verändern sollen.

Die Verfahrensweise, die F. M. Alexander empfiehlt, verlangt aber genau dies, die persönliche Veränderung in einem grundsätzlichen Sinne. Bei dem von ihm entwickelten Verfahren werden dem Betroffenen durch den geschickten Einsatz der Lehrerhände die richtigen kinästhetischen Erfahrungen vemittelt, wenn der Lehrer für seinen Schüler die jeweiligen Bewegungen ausführt. Der Schüler wird "mit den richtigen Steuerungs- und Kontrollbefehlen vertraut gemacht, die ihm dabei helfen, die Mittel einzusetzen, mit denen er die Mechanismen bei jedem Versuch, richtig zu gehen, benutzen sollte". Und der Schüler muss lernen, "all seine Entsagungskräfte - seine Fähigkeit zur Hemmung - aufzubieten, um zu verhindern, dass seine falsche unterbewusste Ausrichtung und Steuerung in Verbindung mit seiner Vorstellung vom Gehen" zum Einsatz kommt. Ihm wird an dieser Stelle auch eröffnet, warum seine Mechanismen schlecht arbeiten: Zum einen sind seine unterbewussten Steuerungs- und Kontrollbefehle bezüglich der Tätigkeit Gehen nämlich falsch und zum anderen ist seine sinnliche Wahrnehmung in Bezug auf diese Mechanismen weitgehend unzuverlässig.

Am Ende dieses Prozesses wird ein verbessertes Gleichgewicht nicht nur beim Gehen, sondern bei eigentlich allen Tätigkeiten des Lebens stehen. Mit dem verbesserten Gleichgewicht kommt die "erstaunlich einfache Physiologie des Gehens" zum Tragen, wie sie in "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert" (BooksonDemand, 2018), der deutschen Erstübersetzung von MAN'S SUPREME INHERITANCE beschrieben wird: "Das Gehen wird einfach nur aufgelöst in diese beiden primären Bewegungsphasen: Man lässt den Körper von dem Fußgelenk aus, auf dem das Gewicht ruht, sich nach vorne neigen und übergibt dann das Gewicht dem Fuß, der nach vorne gebracht wird, um zu verhindern, dass man fällt."

Diese Physiologie des Gehens und die Koordinationsprinzipien der Alexandertechnik ließen es nicht zu, dass dabei eine unnötige Körperspannung aufgebaut wird, dass die Wirbelsäule und die Beine verkürzt werden, dass der Gehende sich in den Boden hineindrückt, anstatt den Druck auf den Boden zu verringern, so F. M. Alexander weiter. Die Gleichgewichtsverhältnisse sind vielmehr so, "dass der unangemessene Druck in den Boden nicht vorhanden ist" und dass sich in den Bewegungen einer so ausgebildeten Person "eine Leichtigkeit und Freiheit findet, die äußerst bemerkenswert ist".

Bis bald

Dein Großvater

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