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Im Brennglas der Alexandertechnik: Körpersprache


Liebe Marie,

Körpersprache spiegele die Stimmung, heißt es in der Samstgsausgabe der Westfälischen Rundschau vom 3. August 2019 auf der Seite Extra. Schlechte Laune und bedrückte Stimmung seien oft schon von Weitem an den hängenden Schultern, der gekrümmten Haltung und an dem nach unten gerichteten Blick zu erkennen. Die Psychologie und die Neurowissenschaften haben diesem Phänomen auch einen Namen gegeben: Embodiment. Grundsätzlich sei damit gemeint, dass sich Körper und Psyche gegenseitig beeinflussen. So bewirke eine schlechte Haltung, dass die Atmung beeiträchtigt wird, und ein nach unten gerichteter Blick fördere negative Gedanken und Ängste.

Dies heißt aber auch: Bei jedem, der mit Depressionen oder irrationalen Ängsten zu kämpfen hat, oder der unter Panikattacken zu leiden hat, wird man feststellen, dass seine Haltung, oder in der Sprache der Alexandertechnik ausgedrückt, sein Gebrauch sehr zu wünschen übrig lässt, dass er auf schädliche Weise in das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken eingreift, dass ihn seine sinnliche Wahrnehmung schon lange im Stich gelassen hat und dass er Reizen nur schwer widerstehen kann, weil seine Fähigkeit zur Hemmung der Reize nur schlecht oder gar nicht ausgebildet ist..

Aber die gute Nachricht sei es, so meine Tageszeitung, dass das Prinzip auch in die andere Richtung funktioniere: Schon kleine Veränderungen in der Körperhaltung könnten die Stimmung des Einzelnen heben. Ob aber die in dem Artikel der Westfälischen Rundschau angepriesenen Verfahren zu empfehlen sind, ist, aus dem Blickwinkel der Alexandertechnik betrachtet, doch stark zu bezweifeln. Da wird empfohlen, "mit halboffenem Mund tief einzuatmen, als würde man die Luft durch einen Strohalm aufsaugen", um sie dann "mit aufgeblasenen Wangen langsam wieder auszupusten". Da heißt es "Kopf hoch! Brust raus!, die Wirbelsäule strecken, das Kinn leicht anheben und das Brustbein nach oben drücken". Oder man empfiehlt "einen Bleisrift quer in den Mund" zu nehmen.

Kein Wort wird darüber verloren, wie all dies zu geschehen hat. Der Betroffene wird damit allein gelassen, all das in die Tat umzusetzen. Wie soll er verhindern, dass sich die Gesichtsmuskeln verspannen, wenn er "den Bleistift quer in den Mund" nimmt? Wie kann er dafür sorgen, dass er nicht ins Hohlkreuz geht, wenn er versucht, "die Wirbelsäule zu strecken"? Wie kann es gelingen, nicht den Kopf zurückzuziehen, wenn er das "Brust raus/Kopf hoch" umsetzen oder wenn er das Kinn anheben will? Die Mittel-und-Wege, auf denen dies alles gelingen kann, bleiben für ihn weiterhin ein Buch mit sieben Siegeln.

In "Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen" (BooksonDemand, 2018), der deutschen Neuübersetzung von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIVIDUAL beschreibt F. M. Alexander das, was passiert, wenn man einen tiefen Atemzug nimmt: Wir müssten leider davon ausgehen, dass bei einer großen Anzahl der Menschen bereits schädliche Defekte festzustellen seien, wenn sie die Atemmechanismen gebrauchen. Heute sei bei vielen der Brustkorb mehr oder weniger eingefallen und wenig beweglich. Wenn an einen solchen Menschen die Aufforderung ergehe, einen tiefen Atemzug zu machen und dabei vielleicht noch zusätzlich eine sportliche Übung auszuführen, führe dies dazu, dass die Versteifung des Brustkorbs und die Atemlosigkeit durch die körperliche Anspannung eher noch begünstigt werden. Und weiter schreibt er: "Wenn wir wirklich zum Kern des Problems vordringen wollen, müssen wir davon ausgehen, dass Lehrer oder Schüler oder gar beide bestimmte Anzeichen erkannt haben müssen, die nicht in Ordnung sind und von denen sie glauben, dass diese Anzeichen es erforderlich machen, Maßnahmen zu ergreifen.(...)Tatsächlich sind diese schädlichen Anzeichen aber das Resultat bestimmter falscher Gebrauchsweisen des Organismus. Und dies deutet darauf hin, dass die sinnliche Wahrnehmung im Bereich der Steuerung und Kontrolle der betroffenen geistig-körperlichen Mechanismen unzuverlässig und fehlerhaft geworden ist.(...)

Alle Bemühungen, diese falschen Gebrauchsweisen auf dem Wege über solche Prozesse wie 'Tiefatmen' oder 'Atemschulung' zu heilen, sind nur der Versuch, einen allgemeinen und fehlerhaften Zustand der Psychomechanik mit einem spezifischen Prozess zu korrigieren. Mit anderen Worten ist es der Versuch, die falschen Gebrauchsweisen dadurch zu korrigieren, dass der Schüler die eine oder andere Übung ausführen soll. Nur sind seine Steuerung und Kontrolle bei der Ausführung der Übungen an genau dieselbe fehlerhafte sinnliche Wahrnehmung gekoppelt, die schon zu Beginn des Unterrichts vorhanden war. (...) Durch die wiederholte Ausführung der Übungen werden die ursprünglichen Defekte beim allgemeinen Gebrauch der Mechanismen immer noch ausgeprägter und, was noch gravierender ist, es kommen weitere hinzu." Der fehlerhafte Gebrauch des geistig-körperlichen Organismus im Zusammenhang mit der Übungsausführung - die Gewohnheit, die Luft aktiv einzusaugen, das Niederdrücken des Kehlkopfes, die Kontraktion der Nasenflügel - müssten früher oder später schwerwiegende Hals-, Nasen-, Ohren- und Augenprobleme verursachen.

Wenn aber "ein Prozess in Gang gesetzt werde", bei dem "die einzelnen Körperteile durch einen neuen und richtigen Gebrauch der Muskelmechanismen auf der Grundlage eines steuernden Bewusstseins neu justiert" werden, würden so entscheidende mechanische Vorteile für die Atmung generiert: Expansion und Kontraktion des Brustkorbs werden in einer Weise ermöglicht, die dem atmosphärischen Druck Gelegenheit geben, sein Werk vollständig zu vollbringen. (...) Man kann sofort erkennen, dass bei diesem Prozess (...) der Atemvorgang nicht primärer, auch nicht sekundärer Teil dieses Prozesses ist. Tatsächlich ist das Atmen ein untergeordneter Vorgang, der selbständig abläuft. Voraussetzung ist allerdings, dass die Körperteile so perfekt koordiniert sind, wie es durch mein System erreicht werden kann." Dies schreibt F. M. Alexander in "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert" (BoD, 2018), der deutschen Erstübersetzung von MAN'S SUPREME INHERITANCE.

Mit einer bewussten Steuerung und Kontrolle, mit einer sinnlichen Wahrnehmung, auf die man sich verlassen kann, mit einer Koordination der einzelnen Körperteile zu einem harmonischen Ganzen gibt es wahrlich keinen Grund, "bedrückter Stimmung, schlechter Laune" oder überhaupt launisch zu sein, weil wir unter solch guten Voraussetzungen die meisten Probleme, die sich uns stellen, mit einem gestärktem Selbstvertrauen bestens meistern können.

Bis bald

Dein Großvater

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