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Im Brennglas der Alexandertechnik: Hyrox, Kieser und Co.


Liebe Marie,

in der Fitnessbranche werden gegenwärtig 5.3 Milliarden Euro jährlich umgesetzt. Elf Millionen Menschen sind in Fitnessstudios angemeldet. Diese Zahlen sind auf der Fitnessmesse FIBO in Köln bekanntgegeben worden. Der neueste Trend hat den Kunstnamen Hyrox. Hyrox, die moderne Art des Zirkeltrainings, kombiniere Kraft-, Ausdauer- und Intervallübungen. Jeder, der mit einer gewissen Grundfitness ausgestattet sei, könne dabei sein. Es seien inzwischen schon rund 150 Fitness- und Trainingscenter, die Hyrox-Kurse für Anfänger und Fortgeschrittene anbieten, heißt es in der Westfälischen Rundschau vom 4. April 2019.

Warum haben Fitnessstudios einen solchen Zulauf? Warum sind Fitnessprogramme gegenwärtig der Renner? F. M. Alexander liefert in: Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen (BoD, 2018), der deutschen Übersetzung von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIDIVIDUAL eine plausible Erklärung, wenn er darauf hinweist, dass die Zivilisationsbedingungen zu nicht unerheblichen Koordinationsstörungen der geistig-körperlichen Mechanismen des Menschen geführt haben, was sich in einem Körperverfall zeige, der "die Notwendigkeit für Maßnahmen, die diesen Verfall aufhalten können, wirklich dringlich" gemacht habe. Als der Mensch sich aber für Fitness- oder Körperübungen als Maßnahme gegen den körperlichen Verfall entschieden habe, habe er nicht überlegt, "dass die Übungen selbst in keinster Weise in einem Zusammenhang zu den Bedürfnissen seines Organismus standen."

Was F. M. Alexander damit meint, macht er an dem exemplarischen Fall des John Doe deutlich. Er schreibt in: Ein Vermächtnis der Evolution von unschätzbarem Wert (BoD, 2018), der deutschen Übersetzung von MAN'S SUPREME INHERITANCE folgendes: "John Does Arbeit zwingt ihn von 9 Uhr morgens bis 6 Uhr abends an den Schreibtisch. Sie stellt außergewöhnliche Belastungen an seine geistigen Kräfte. Er ist 35 Jahre alt, vielleicht auch bis zu zehn Jahre jünger. (.....) Nun hatte es John Doe jedoch schon allzu lange aufgeschoben, seine gesundheitliche Lage zu verbessern. Schließlich meldete er sich zum Fitnesstraining an. Seine Zeit war zwar äußerst begrenzt, aber er opferte ein oder zwei Stunden morgens und abends dafür. Zunächst wird er vielleicht sagen können, dass er sich nahezu wie neugeboren fühlt. Er wird wahrscheinlich Freunden, denen er in der Stadt begegnet, empfehlen, ihm nachzueifern. Ich bin sogar willens zuzugeben, dass John Doe tatsächlich davon profitiert.(.....) Aber dies möchte ich an dieser Stelle sehr deutlich feststellen: Seine Heilung trägt nicht das Element der Dauerhaftigkeit in sich. Es ist nur ein Pfuschen und Stümpern an der Struktur seines Körpers. Wenn wir nämlich den Fall von einem neutralen Standpunkt aus betrachten, müssen wir erkennen, dass John Doe versucht hat, zwei Lebenssysteme oder Lebensweisen miteinander zu vereinbaren, die von der Natur der Sache her gar nicht harmonisch zusammenarbeiten können. Zum einen ist er zwei oder drei Stunden am Tag damit beschäftigt, seinen Muskelapparat mechanisch aufzubauen, wobei ihn allerdings gar nicht die Art und Weise interessiert, wie er dabei den Apparat benutzt; dass er dabei die Blutzufuhr anregt und beschleunigt; dass deshalb eine erhöhte Sauerstoffzufuhr notwendig ist oder dass seine Lungenkraft gestärkt werden muss. Kurzum er trainiert Funktionen und Energiequellen, die untrainiert während des größten Teils seines Lebens im Wachzustand allein die Aufgabe haben, ihn mit Lebensmitteln zu versorgen. Andererseits werden die neu entwickelten Kräfte in den übrigen zwölf Stunden wieder vernachlässigt. Wenn er sich seinem Beruf widmet, wenn er isst oder ein Buch liest, wenn er sich mit Gesellschaftsspielen vergnügt oder wenn er ähnlichen Beschäftigungen nachgeht, sind wieder seine alten Kontrollzentren und Nervenbahnen angeregt. In John Does Körper gibt es also neben dem natürlichen Zustand des Schlafes noch zwei weitere Existenzen: die eine muskulär, streng aktiv, dynamisch, die andere sitzend, statisch, nervös."

"Diese Existenzen korrelieren aber nicht miteinander. Sie sind Gegenspieler. Sie unterstützen sich nicht gegenseitig. Der Körper von John Doe wird so zu einer Bühne für einen Bürgerkrieg. Sein Herz, seine Lungen und andere Organe, die halb-automatisch arbeiten, befinden sich im Zustand der ständigen Neujustierung, wenn sie sich an die widersprüchlichen Bedingungen anpassen sollen und wenn die Organe gezwungen sind, jeweils die eine oder andere Seite in diesem ständigen Kampf zu unterstützen."

(................) "John Doe hat ein falsche Geisteshaltung, was die Art und Weise betrifft, wie seine Muskelmechanismen bei den Tätigkeiten des täglichen Lebens zu gebrauchen sind. Schon lange hat er Muskeln eingesetzt, um Arbeiten zu verrichten, für die sie niemals gedacht waren. Auf der anderen Seite blieben Muskeln unterentwickelt, reglos und ungenau kontrolliert, die eigentlich pausenlos benutzt werden sollten." (..........) Aber die Hauptursache für John Does schlechten Zustand war etwas anderes: Er hatte "im Schlaf und im Wachzustand schlechte Gewohnheiten entwickelt, die dazu geführt haben, dass seine innere Brustkorbkapazität sich nach und nach auf ein Minimum reduziert hat", so F. M. Alexander weiter. Eine derartige Reduzierung der inneren Brustkorbkapazität sei nicht nur an sich schädlich, sie mache es auch praktisch unmöglich, dass die inneren Organe angemessen ihren Dienst verrichten.

"Wenn die Brustkorbkapazität stark reduziert ist, hat dies zur Folge, dass die inneren Organe des Brustkorbs in schädlicher Weise zusammengedrückt werden. Herz und Lungen sind nicht mehr in der Lage, angemessen zu funktionieren. Ein schädigender Druck legt sich auf das Herz und die Lungen werden nicht richtig benutzt oder nicht genügend belüftet. Das Lungengewebe verfällt. Die richtige Blutverteilung wird negativ beeinflusst: Zu viel Blut sammelt sich in der Region der Eingeweide an und auch die Versorgung mit Blut über die Lungen ist beeinträchtigt. Nun spielen die Lungen ja eine wesentliche Rolle bei der Verteilung des Blutes. So ist es nicht schwer zu verstehen, dass der Zustand minimaler Brustkorbkapazität einen starken Einfluss auf den Blutkreislauf haben muss. Die Atemprozesse sind ebenfalls betroffen. Es wird kein teilweises Vakuum in den Lungen hergestellt, indem sich durch koordinierte Brustkorberweiterung ein atmosphärischer Unterdruck in den Lungen aufbaut. Die Luft wird stattdessen eingesogen. Im Bauchraum entsteht übermäßiger Druck. Es kommt zu einer schädlichen Erschlaffung der Bauchmuskeln, was dann zu einer Verschiebung des Bauchgewebes nach unten, zu fehlerhafter Funktion von Leber, Nieren und Blase usw. führt. Im Darm kommt es zu Stauungen. Dünndarm und Eingeweide werden gereizt und gebläht. Die Folge sind Verstopfung und Verdauungsstörungen, daraus entstehende Defekte und eine Schädigung aller lebenswichtigen Systeme insgesamt."

Es ist wahrlich ein Glück, liebe Marie, dass sich diese krankmachenden Defizite, die F. M. Alexander in diesem Abschnitt aus: Ein Vermächtnis der Evolution ....... aufgezählt hat, bei dem einzelnen Menschen nicht alle gleichzeitig ausbilden. Im Allgemeinen wird es wohl so sein, dass Krankheit sich jeweils den schwächsten Teil oder die schwächeren Teile im Organismus heraussucht, um deutlich zu machen, dass in dem Organismus grundsätzlich etwas nicht in Ordnung ist.

F. M. Alexander hatte oben dargelegt, dass "schlechte Gewohnheiten" zur Reduktion der Kapazität des Brustkorbs geführt haben: John Doe hatte in das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken eingegriffen. Er hatte die Gewohnheiten entwickelt, den Kopf zurückzuziehen, den Hals zu versteifen, die Wirbelsäule zu verkürzen, den Rücken eng zu machen und manches andere mehr. Es ist in der Tat dieser Eingriff in die Primärkontrolle, der es ausmacht, wenn "in dem Organismus grundsätzlich etwas nicht in Ordnung ist".

Es ist das Anliegen der Alexandertechnik diese schlechte Gewohnheit, in die Primärkontrolle einzugreifen, zu beseitigen. Ihre Eckpfeiler sind die Schulung der sinnlichen Wahrnehmung, die Hemmung sofortiger Reaktion, Anweisungen und der geschickte Einsatz der Lehrerhände. Dadurch, dass der Lehrer anstelle seines Schülers die jeweilige Bewegung mit seinen Händen ausführt, wird die sinnliche Wahrnehmung des Schülers mit den richtigen Empfindungen zu der Bewegung gefüttert. Die Anweisungen zur Primärkontrolle und ihre sofortige Hemmung verhindern, dass "die alten Kontrollzentren und Nervenbahnen" des Schülers benutzt werden.

Wenn der Schüler dann die Kontrolle über das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken erlangt hat, wird sich auch seine Atmung normalisieren, so dass ein Unterdruck in den Lungen, der sich zum Ende einer normalen Ausatmung immer einstellen sollte, die Luft einströmen lässt, weil der Brustkorb nicht länger versteift ist, sondern sich mit jedem Atemzug in angemessener Weise ausdehnen kann. Diese natürliche Atmung führt allmählich dazu, dass sich die Kapazität des Brustkorbs mit jeder Ein- und Ausatmung mehr und mehr vergrößert.

Wenn der Mensch erst einmal die Primärkontrolle über seinen Selbstgebrauch erlangt hat, kann er Freude an Hyrox, Kiesertraining, an jedem Fitnessprogramm, das man sich noch ausdenkt, an Yoga, Pilates, T'ai chi, Feldenkrais, Jogging, Aerobics, Stretching, Walking, Nordic Walking, Pole-dancing, an den Sportspielen, am Musikmachen, am Tanzen oder einfach am Faulenzen haben, ohne daran Schaden zu nehmen, solange er darauf achtet, dass die Mittel-und-Wege nicht seinen Gebrauch stören, er also niicht in das primäre Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken eingreift.

Bis bald

Dein Großvater

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