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Im Brennglas der Alexandertechnik: Hoher Krankenstand bei Kindern


Liebe Marie,

mein Blogthema hat es diese Woche sogar auf die Titelseite der Tageszeitung gebracht: der hohe Krankenstand der Kinder in NRW. Jedes vierte Kind sei chronisch krank. Vermehrt diagnostiziert werden Asthma und andere Atemwegserkrankungen, Neurodermitis, Allergien, Rückenschmerzen, Virus- und Darmerkrankungen, Entwicklungs- und Verhaltensstörungen und Erkrankungen der Augen.

Im Normalfall kommen die Kinder bei bester Gesundheit in ihre "neue Welt", d. h. sie sind zum einen bestens an die Verhältnisse im Mutterleib angepasst und bringen zum anderen erst einmal alles mit, um sich an ihre neue Umgebung anzupassen. Nur werden die KInder heute in eine Welt hineingeboren, die in sehr vielen Bereichen so schädlich ist, wie niemals zuvor. Das beginnt schon mit dem Kinderwagen, der heute mehrere Funktionen in sich vereinen muss: Die Sitzschale dient als Autositz, in ihr soll das Kind getragen werden und das Kind soll sich darin auch noch aufhalten und bewegen können. Es liegt weniger darin, als dass es in ihr kauert. Sie genügt weniger den Bedürfnissen eines Kindes, als vielmehr den Anforderungen, die die Erwachsen an sie stellen. Und es hört mit der Ganztagsbetreuung in Kindertagesstätten vom ersten Lebensjahr an, in Vorschulen und in Ganztagsschulen bis zum Abitur noch lange nicht auf.

* Kaum ein Kind wird heutzutage noch gestillt, weil die Mutter so schnell wie möglich wieder arbeiten muss oder will; weil vielleicht die Brüste ihre normale Form verlieren; weil von Seiten der Nahrungsmittelkonzerne ein großes Interesse daran besteht, ihre Gläschen, ihr Milchpulver und ihre anderen Produkte an das Kind zu bringen: So erlangen sie mit ihren Ersatzangeboten für die Muttermilch, denen allzu viel Zucker, Haltbarkeitsstoffe und Geschmacksverstärker zugesetzt werden, schon sehr früh einen negativen Einfluss auf die Geschmacksvorlieben der Säuglinge. Der Weg für Karies und für Magen- und Darmprobleme ist damit vorgezeichnet.

** Die kleinen Menschlein werden in eine Welt hineingeboren, die mit Unmengen von Schadstoffen in der Atemluft, im Wasser und in der Nahrung belastet ist. Dies stellt große Anforderungen an das noch junge Immunsystem. Es erfährt kaum Unterstützung durch den Geruch, die Stimme oder die zärtliche Berührung von Mutter oder Vater, weil sie viel zu selten überhaupt für das Kind da sind. (Die Ersatzkräfte tun ihr Bestes, aber in diesen Bereichen können sie die Eltern wahrlich nicht ersetzen.)

*** Eltern wissen heute sehr oft auch gar nicht mehr, wie sie mit den Anpassungsschwierigkeiten ihrer Kinder, die sich als Krankheit äußern, umgehen sollen. Um ja nichts falsch zu machen, eilen sie lieber allzu oft zum Arzt oder ins Krankenhaus, wo dann schnelle Hilfe in Form von einem Medikament verschrieben wird. Das Medikament hindert das kindliche Immunsystem aber sehr oft daran, an der Krankheit zu wachsen, sich an ihr zu stärken. (Diese Ungeduld der Eltern trägt sicherlich zu den hohen Krankenzahlen bei.)

**** Das, was Mutter- und Vaterliebe, Zuwendung, Nähe, Geborgenheit und Hautkontakt einem Kind geben können, kann nicht von all den Süßigkeiten, mit denen die Kinder in unserer Zivilisation abgespeist werden, nicht mit immer neuem Spielzeug, das davon ablenken soll, dass Mama oder Papa keine Zeit haben, und schon gar nicht dadurch ersetzt werden, dass die Kinder vor den Bildschirmen von Fernsehen, Tablet und iPhone plaziert werden.

Wir sehen also: Den Kindern werden bei ihren Bemühungen um Anpassung an die zivilisatorischen Voraussetzungen ihrer neuen Welt eher Steine in den Weg gelegt, als dass ihnen Unterstützung gewährt wird. Weitgehend sind sie dabei solange auf sich allein gestellt und auch überfordert, wie ihnen nicht ein geeigneter Maßstab für ihre Anpassungsbemühungen an die Hand gegeben worden ist. Dies hatte auch F. M. Alexander erkannt, als er mit seiner Technik, die ein solcher Maßstab ist, zuerst einmal die Kinder erreichen wollte.

Sein Plan war es, in seinen Schulen so viele Kinder wie möglich fit zu machen, so dass sie in der Lage waren, die richtige Primärkontrolle bei sich anzuwenden. Von diesen ausgebildeten Schülern wären dann etliche soweit gewesen, dass sie selbst, einem Schneeballsystem gleich, später weitere Kinder in diese Technik einweisen könnten. Schließlich würden so viele Alexandertechnik-Lehrer zur Verfügung stehen, dass es an vielen Schulen einen solchen Lehrer geben würde.

Dieser Plan ist so nicht aufgegangen. Dafür gibt es vor allem zwei Günde. Zum einen konnte F. M. Alexander die politischen Gremien in Großbritannien nicht für sein Konzept begeistern. Mehr noch, es war auch gar nicht gewollt. Es war damals nicht gewollt und schon gar ist es in der heutigen Zeit gewollt, widerspricht es doch grundsätzlich den Prinzipien unserer Konsumgesellschaft, deren hauptsächliches Ziel die Steigerung des Konsums ist. Die Basis der Alexandertechnik ist es aber, dass die Kinder lernen, nein zu sagen zu unbedachter Reaktion, um eine Veränderung ihres Gebrauchs in die Wege zu leiten. Wenn die Kinder dies erst einmal verinnerlicht haben, werden sie diese Fähigkeit nicht nur in dem Lernprozess einsetzen. Sie werden das Nein-Sagen auch dafür verwenden, um der Werbung zu trotzen und Konsumverzicht üben.

Und zum anderen waren die Eltern nicht so ohne Weiteres bereit, ihre Kinder F. M. Alexander anzuvertrauen. Um die Eltern davon zu überzeugen, dass es sehr wohl eine gute Idee war, ihre Kinder "in seine Hände" zu geben, ließ er die Eltern die praktische Erfahrung machen, dass es mit seiner Technik möglich ist, Gesundheitsprobleme zu lösen, bzw. gar nicht erst auftreten zu lassen. Die Arbeit mit den Eltern hat viel Zeit und Energie gekostet, die für die weitaus effektivere Arbeit mit den Kindern verloren war. (Eine Umschulung ist eben sehr viel aufwändiger als eine erste Schulung oder kurz und einprägsam ausgedrückt: Umlernen ist schwieriger als lernen.)

So kamen nur relativ wenige Kinder in den Genuss, von F. M. Alexander ausgebildet zu werden. Ihre Anzahl war ausreichend, um die Idee nicht untergehen zu lassen, sie reichte aber nicht aus, damit sie sich zu einer Lawine entwickelte. Dies ist in der Tat mehr als nur bedauerlich, bedenkt man, dass inzwischen mehr als jedes vierte Kind chronisch erkrankt ist (s. o.). Die Kinder werden in zunehmenden Maße den Unbilden und dem gefährlichen Fahrwasser der Zivilisation ausgesetzt, aber es wird ihnen nichts Adäquates an die Hand gegeben, um damit fertig zu werden und nicht darin zuversinken.

Wenn einem Kind beigebracht wird, seinen Gebrauch bewusst zu steuern, nicht in sein natürliches Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken einzugreifen, wenn es gelernt hat, einen Reiz zu hemmen, indem es nein sagt und so eine sofortige Reaktion verhindert, so dass es nach und nach seine schädlichen Gewohnheiten ablegen kann, wenn es sich auf seine sinnliche Wahrnehmung wieder verlassen kann, ist es gefeit gegen alle Anfechtungen des Lebens in der Zivilisation und es kann sich an die bestehenden Verhältnisse so anpassen, dass sie ihm keinen Schaden zufügen können.

Bis bald

Dein Großvater

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