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Im Brennglas der Alexandertechnik: Geschmacksvorlieben


Liebe Marie,

diese Nachricht hört sich doch erst einmal gar nicht so schlecht an: Bis 2025 sollen sich die deutschen Hersteller von Lebensmitteln freiwillig verpflichten, "den Gehalt an Zucker, Salz und Fett in ihren Produkten zu reduzieren." So haben sich die Lebensmitttelhersteller etwa bereit erklärt, den Zuckergehalt in den Cornklakes, Crunchies und in ähnlichen Getreideprodukten um

20 % zu verringern. Kinderjoghurts sollen bis 2025 nur noch so viel Zucker wie normale Joghurts enthalten. Auch in den so beliebten Softgetränken soll dann 15 % weniger Zucker sein. Ebenfalls in der Diskussion ist der Salzgehalt von Brot und Fertigpizzen. So weit, so gut. Oder doch nicht?

Die Geschmacks- und Geruchsempfindungen der Menschen sind im Laufe der Zeit u. a. dadurch mehr und mehr verdorben worden, dass man den industriell gefertigten Lebensmitteln die verschiedensten Zusatzstoffe hinzugefügt hat. Der Ansatz der Politik, der Lebensmittelindustrie sechs Jahre lang Zeit für eine Umstellung zu geben, ist durchaus vernünftig. Es zeichnet sich aber jetzt schon ab, dass die Industrie die Zeit nicht dazu nutzen wird, die Konsumenten geschmacklich allmählich an ein niedrigeres Zucker- und Salzniveau zu gewöhnen. Vielmehr wird intensiv nach Ersatzlösungen gesucht, die dem gewohnten "Geschmacks- und Geruchserlebnis" so nahe wie möglich kommen.

Dies ist auch gar nicht so überraschend, sind der Geschmack und der Geruch eines Produkts der Lebensmittelindustrie wesentliche Marker, die eine Kundentreue herstellen können. Wer sich bei einem Produkt erst einmal an einen Geschmack oder einen Geruch gewöhnt hat, kann durchaus empfindlich reagieren, wenn dieses Produkt anders schmeckt oder riecht, was dann eine nicht zu unterschätzende Gefahr für den jeweiligen Umsatz bedeutet. Anstatt also den Kunden behutsam in den Jahren bis 2025 an einen niedrigeren Salz- und Zuckerzusatz zu gewöhnen, schaltet man lieber ein Unternehmen wie "Brenntag Food & Nutrition" ein: Es ist der weltgrößte Chemikalien-Distributeur, deren "Experten Inhaltsstoffe, Rezepturen und Komplettlösungen für Bäckereien, Speiseeis, Fleisch- Wurst und Fischwaren kreieren", die den geschmacklichen Vorgaben des jeweiligen Auftraggebers genügen. So beziehe ein namhafter Cocktail-Hersteller die Inhaltsstoffe für seinen "Bellini" wie Zucker, Zitronensäure, Farbe und Pfirsich-Extrakt von Brenntag. Bis auf den Wein komme alles von dort, heißt es in dem Zeitungsartikel zu Brenntag. Nur treibt man auf diese Weise "den Teufel mit dem Beelzebub aus": Der übermäßige Salz- und Zuckereinsatz, von dem man erkannt hat, dass er gesundheitsschädlich ist, wird ersetzt durch andere und neue künstliche Zusätze, Aromen, Tinkturen, Farbstoffe und was sonst noch, die sehr wahrscheinlich nicht weniger problematisch sind.

Dass so viel Salz und Zucker in den industriell hergestellten "Lebensmitteln" vorhanden sind, kann durchaus einen einfachen Grund haben: Der viele Zucker und das viele Salz übertünchen die "geschmacklichen Verunreinigungen" durch die vielen anderen Stoffe, die man diesen Produkten zusetzt, um sie haltbarer zu machen, um ihr Aussehen zu verändern, um ihre Konsistenz zu gewährleisten, um aus Abfällen Produkte zu machen, die man vermarkten kann. So bestehen die bei Kindern so beliebten Fischstäbchen aus den Restefasern des industriellen Fischfangs. Und das Softgtränk CocaCola wäre wohl geschmacklich völlig ungenießbar, würde diesem Getränk nicht so viel Zucker zugesetzt.

Unter diesem Gesichtspunkt macht es durchaus Sinn, dass der Kölner Zuckerriese Pfeifer & Langen einen kalorienlosen Zucker entwickeln lässt, die Allulose, dessen "Energiegehalt verkapselt und (weitgehend) ungenutzt wieder ausgeschieden" wird. Ob ein neuer Ersatzzucker "das Ei des Kulumbus" darstellt, kann wohl zu Recht mehr als bezweifelt werden.

Vieles deutet darauf hin, dass das Problem grundsätzlich angegangen werden muss, wenn es zufriedenstellend gelöst werden soll: Das Geschmacks- und das Geruchsempfinden ist auf eine natürliche, gesunde Basis zu stellen. In der Tat gibt es derzeit hoffnungsvolle Ansätze in dieser Richtung. So entwickelt sich gegenwärtig "eine neue Stillkultur" in Deutschland, so "dass das Stillen zur normalen Ernährung für Säuglinge" wird, heißt es in einem Artikel meiner Tageszeitung. Zu den Vorteilen von Muttermilch gehöre es, dass sie beim Kind die Immunabwehr stärke, die Mundmuskulatur aktiviere und dem Übergewicht vorbeuge. Muttermilch sei absolut keimfrei, für Mutter und KInd zu jeder Zeit verfügbar und kostenfrei. Und mit dem Stillen wird eben auch das Geschmacksempfinden des Säuglings geprägt.

Wenn mit dem Stillen der Grundstock für das Geschmacksempfinden gelegt ist, ist es ein nächstes, dafür zu sorgen, dass dieses nicht verdorben wird: Es gilt sicherzustellen, dass die Wahrnehmung aller unserer Sinne zuverlässig bleibt. Eine Störung der sinnlichen Wahrnehmung in einem Bereich zieht nämlich alle anderen Bereiche der Wahrnehmung mehr oder weniger in Mitleidenschaft. Dies ist zwangsläufig so, weil die sinnlichen Wahrnehmungen insgesamt davon abhängig sind, dass nicht in das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken eingegriffen wird.

Nun wird kein Säugling dies im Normalfall tun. Erst unter den schädlichen Zivilisationseinflüssen unserer schnelllebigen Zeit ist eine solche Störung eher die Regel als eine Ausnahme. Wenn die Alexandertechnik in jungen Jahren bei einem in seinem Gebrauch noch "unverdorbenen" jungen Menschen eingesetzt wird, lernt er eine bewusste Steuerung und Kontrolle seines Gebrauchs, die weitgehend verhindert, dass er in das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken eingreift. Falls er doch einmal diese Primärkontrolle stört, nimmt er die Störung wahr, weil seine sinnlichen Wahrnehmungssysteme bestens funktionieren, und er kann die nötigen Maßnahmen ergreifen, um die Störung abzustellen.

Zu diesen nötigen Maßnahmen des Kindes gehört es an erster Stelle, nicht eher aktiv zu werden, bevor es nicht sichergestellt hat, dass es nicht in das primäre Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken eingreift. Mit dem entsprechenden Verfahren, der Hemmung, ist es im Zuge seiner Ausbildung in Alexandertechnik bestens vertraut gemacht worden. In einem nächsten Schritt erteilt es die Anweisungen (oder die Selbstbefehle) zur primären Kontrolle von Kopf, Hals und Rücken: "Hals frei", "Kopf nach vorne und oben", "Rücken längen und weiten". So wie es dies gelernt hat, koppelt es dann diese Selbstbefehle zur Primärkontrolle an die Anweisungen, die das verhindern, was die Maßnahmen nötig gemacht haben. Ein solches Vorgehen stellt sicher, dass alles sehr schnell wieder ins Lot kommt.

So einfach liegen die Dinge allerdings nicht, wenn sich eine schlechte Gewohnheit eingenistet hat. Unter dieser Voraussetzung kann sich ein erkanntes Problem zu einer Aufgabe entwickeln, die weitaus komplexer ist. Die schlechte Gewohnheit muss als solche erst einmal erkannt werden. Dies verlangt von einem Lehrer, dass er manchmal die Dinge wieder und wieder erklären und demonstrieren muss, in der Hoffnung, dass er seinen Schüler in dieser Hinsicht früher oder später erreichen wird. Zudem muss die Gewohnheit auch in der jeweiligen Situation wahrgenommen werden, was nichts anderes bedeutet, als dass die sinnliche Wahrnehmung im Laufe des Prozesses verändert und entwickelt werden muss. Dann ist die Gewohnheit unter eine bewusste Steuerung und Kontrolle zu bringen und an die primäre Kontrolle von Kopf, Hals und Rücken anzukoppeln. Mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen dies geschieht und welche Rolle die mechanisch vorteilhaften Positionen dabei spielen, davon werde ich dir, liebe Marie, bei einer der nächsten Gelegenheiten erzählen.

Bis bald

Dein Großvater

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