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Im Brennglas der Alexandertechnik: Suchtverhalten


Liebe Marie,

warum ist es für einen Raucher so schwer, mit dem Rauchen aufzuhören? Warum kann der Alkoholiker nicht von seinem Alkoholkonsum lassen? Warum geben sich manche Menschen der Völlerei hin? Oder allgemein gefragt, warum ist es dem Süchtigen nur schwer möglich, von seinem Suchtmittel zu lassen?

Das Suchtverhalten hat natürlich auch F. M. Alexander veranlasst, dazu Stellung zu nehmen. Zum Alkoholkonsum schreibt er in Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen (BooksonDemand, 2018), der deutschen Neuübersetzung von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIDIVIDUAL: "Der Trinker hat (zunächst nur) gelegentlich Alkohol zu sich genommen, so wie er auch viele andere Dinge verspeist und getrunken hat. Der Alkoholkonsum sollte nie und nimmer zu einer Gewohnheit werden. Auch kam es ihm nie in den Sinn, dass er unfähig sein könnte, Alkohol nur hin und wieder zu trinken oder ganz auf ihn zu verzichten, wenn er es denn wollte. (...) Tatsächlich handelte er in dem Glauben, dass er frei entscheiden könne, ob er hin und wieder dem Alkohol zusprach oder ihm ganz entsagte."

Im aktuellen "Jenke-Experiment" hat Herr von Wilmsdorff, der angibt, von dem Laster des Rauchens schon seit mehr als 30 Jahren abhängig zu sein, nun versucht, sich das Rauchen abzugewöhnen. Er habe es vorher bereits bestimmt hundert Mal versucht. Versuch und Scheitern sind gar nicht einmal ein so untypisches Verhalten für einen Süchtigen. Dies bestätigt auch F. M. Alexander, wenn er schreibt: "Oftmals unternimmt (der Süchtige) dann Anstrengungen, um seine Sucht zu bekämpfen und von der Gewohnheit zu lassen. Es gibt auch Freunde, die es nur gut meinen und ihm empfehlen, mit Willenskraft seine Sucht zu bekämpfen und zu kontrollieren."

In der Tat hat sich auch bei Herrn von Wilmsdorff die Vorstellung eingenistet, er könne sich das Rauchen über seinen Willen abgewöhnen. Er wird in dem Interview, das er gegeben hat, um die Menschen auf sein Frensehexperiment aufmerksam zu machen, wie folgt zitiert: "Man muss wirklich wollen! - Unbedingt und dauerhaft wollen und nicht nur ein bisschen wollen aus Vernunft. Es muss diese Dringlichkeit haben." F. M. Alexander sagt nicht nur, dass dies ein Holzweg ist, er begründet es auch: "Seine Sucht ist aber eine sinnliche Begierde. Und in seinem Fall hat die verdorbene sinnliche Wahrnehmung im Zusammenhang mit seiner Sucht schon lange von den Prozessen Besitz ergriffen, die man im Allgemeinen Willenskraft nennt. Das ist auch der Grund, warum seine Hoffnung, von der Sucht befreit zu werden, allein darin liegt, dass der normale Zustand der sinnlichen Wahrnehmung wiederhergestellt wird. Bei einem abnormen und ungesunden Suchtverhalten ist nämlich eine normale sinnliche Wahrnehmung niemals anzutreffen."

Herr von Wilmsdorff erklärt in dem Interview, dass er bereits sehr viele Methoden ausprobiert habe, um sich das Rauchen abzugewöhnen. Sie alle haben eines gemeinsam: Kennzeichen von Hypnose, Akupunktur, halluzinogenen Drogen u. ä. ist es gerade, dass sie sich nicht an das Bewusstsein wenden und damit nicht in der Lage sind, wieder eine zuverlässge sinnliche Wahrnehmung herzustellen. Aus Sicht der Alexandertechnik kann deshalb seine Frage, ob Ayahuasca, das starke Pflanzengift, das er genommen hat, ihn langfristig vom Rauchen abbringen kann, nur mit einem klaren und eindeutigen Nein beantwortet werden.

Seine Erkenntnis, dass wir unser Verhalten nicht einfach so verändern können, wenn wir süchtig sind, dass wir andere Strategien brauchen, um von unseren Süchten loszukommen, ist nun aber ein durchaus sehr kluger Ansatz.

Wie diese andere Strategie aussehen sollte? Alle seine bisherigen Versuche verfolgten direkt das eine Ziel, mit dem Rauchen aufhören zu können. Die neue Strategie muss indirekt vorgehen. Vollkommen unberücksichtigt bleibt zunächst das eigentliche Ziel, das Rauchen aufzugeben. Es wird sich mit der Zeit in Folge der zu ergreifenden Maßnahmen wie von selbst ergeben. Bevor es soweit ist, wird sich die sinnliche Wahrnehmung des Süchtigen, insbesondere seine kinästhetische Wahrnehmung in einer Weise verändert haben, dass sie zuverlässig geworden ist. Der Betroffene wird gelernt haben, den Prozess der Hemmung so einzusetzen, dass er nicht länger in das richtige Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken eingreift und er wird alle Teile seines Organismus so gebrauchen, dass sie in bester Koordination zusammenarbeiten.

Mit dieser Strategie ist auch eine Methode verbunden: die Alexandertechnik. Alexandertechnik selbst ist durchdrungen von indirekten Prozessen. So wird die sinnliche Wahrnehmung indirekt durch Selbstbefehle, Hemmung und Lehrermanipulation zuverlässig gemacht. Wenn ein Schüler sich einen Befehl, eine Anweisung, erteilt hat und er sie aktiv umsetzen will, muss er auf der Stelle diesen Impuls zur Umsetzung hemmen. Es ist der Lehrer, der für den Schüler die dem Befehl entsprechende Bewegung ausführt und so dem Schüler indirekt die richtige sinnliche Wahrnehmung zu der Bewegung vermittelt.

Ein anderes Beispiel für indirektes Vorgehen in der Alexandertechnik ist die Anweisung "Lass den Hals frei!" Sie kann gar nicht direkt bewirkt werden. Eine Entspannung der Halsmuskulatur kann sich in der Tat nur indirekt ergeben: Die Verhältnisse müssen sich so entwickelt haben, dass die Wirbelsäule ihre natürlche Länge hat und der Rücken nicht eng gemacht wird.

Wie sinnvoll das indirekte Vorgehen ist, ergibt sich auch aus der Tatsache, dass in einem Organismus alles mit allem zusammenhängt. Deshalb wird man die primäre Kontrolle über das richtige Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken auch nur erlangen, wenn die anderen Teile des Organismus einigermaßen gut koordiniert sind, wenn die Atmung auf die richtige Basis gestellt ist und einiges andere mehr. Umgekehrt sind Koordination und Atmung davon abhängig, dass das Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken nicht gestört ist. Mit dem Bild der Spirale kann dieser Prozess sehr gut beschrieben werden. Sehr viele Menschen, nicht nur die Süchtigen, sind in einer Abwärtsspirale gefangen. Mit Alexandertechnik kann in der Tat erreicht werden, dass die Richtung umgekehrt wird und die Menschen sich in einer Aufwärtsspirale zu ungeahnten Höhen aufschwingen.

Wenn der Süchtige dann die primäre Kontrolle über das Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken erlangt hat, wenn seine sinnliche Wahrnehmung auf eine verlässliche Basis gestellt worden ist, wenn seine Bewegungen kooordiniert sind und wenn sich seine Fähigkeit zur Hemmung stärker ausgeprägt hat, wird auch die Verbindung zu seinem Verstand wiederhergestellt sein. All dies zusammen wird bewirken, dass er in der Lage sein wird, bewusste Entscheidungen zu treffen, die auf verlässlichen sinnlichen Wahrnehmungen beruhen. Sein Geruchssinn wird ihm melden, dass kalter Rauch wahrlich nicht gut riecht; sein Gechmackssinn wird ihm sagen, dass der Zigarettenrauch viele andere Geschmacksempfindungen überlagert und es so zu einer Geschmacksverarmung kommt; seine kinästhetische Wahrnehmung wird vermelden, dass er mit jedem Zug an der Zigarrette massiv in die Prozesse der Atmung eingreift; sein Verstand wird ihn fragen lassen, ob er all dies weiterhin will, und er wird ihn leiten, das zu tun, wofür er sich letztlich entscheidet. Seine Entscheidungen werden von nun an von rationalen Überlegungen getragen werden und er wird so zum Herrn über sie, ohne länger Sklave seiner Gewohnheiten und Süchte sein.

Bis bald

Dein Großvater

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