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Im Brennglas der Alexandertechnik: Morbus Parkinson


Alexandertechnik

Liebe Marie,

in dieser Woche möchte ich, dass Du mich bei einem Gedankenexperiment begleitest. Ich bin selbst auf das Ergebnis gespannt. Kann Alexandertechnik auf den Verlauf der Parkinson'schen Krankheit Einfluss nehmen? Kann sie die Krankheit sogar stoppen? Kann sie verhindern, dass sich diese Krankheit überhaupt entwickelt? An welchen Stellen gäbe es Ansatzpunkte für die Technik?

Dieser Tage traf ich im Theater Hagen eine strahlende junge Frau, die ich angesprochen habe, weil wir uns schon öfter in der Stadt begegnet waren. Sie erzählte mir, dass es wohl die Parkinson'sche Krankheit sei, die sie auf der linken Körperseite inzwischen so stark behindere. Das Schicksal dieser Frau lässt mich nicht los und veranlasst mich jetzt, mich mit ihrer Krankheit näher zu befassen.

Ich fasse zunächst zusammen, was im Akademischen Wörterbuch über die Krankheit zu finden ist: MORBUS PARKINSON sei "eine degenerative Erkrankung des extrapyramedialmotorischen Systems (EPS) bzw. der Basalganglien". Dies bewirke im "schwarzen Kern" (NUCLEUS NIGER) des Gehirns ein Absterben von Nervenzellen, die Dopamin herstellen und ins PUTAMEN transportieren, einem Teil der Grauen Substanz des Gehirns,. Der auftretende Dopaminmangel führe in letzter Konsequenz zu RIGOR, TREMOR, HYPOKINESE und auch zur Verlangsamung der geistigen Prozesse.

Die Krankheit beginnt zunächst unmerklich und schleichend, um dann zeitlebens fortzuschreiten, wobei sich die Symptome im Alter zwischen 50 und 60 Jahren, in seltenen Fällen auch schon vor dem 40. Lebensjahr zunehmend stärker ausprägen, wenn bereits ungefähr 70 % der beteiligten Nervenzellen abgebaut sind. Anfänglich zeigt sie sich nur auf einer Seite und diese Seite bleibt auch dauerhaft stärker betroffen. Mit der Zeit macht sie sich aber mehr und mehr bemerkbar: Die gesamte quergesteifte Muskulatur wird unwillkürlich angespannt, was Muskelsteifheit, aber auch das typische Zittern zur Folge haben kann; die Bewegungen werden sparsam und reduziert; die aufrechte Körperhaltung wird instabiler; Gehen, Stehen und Kehrtwendungen werden unsicher; es entwickeln sich Ängste zu fallen; die Funktion der Blase wird gestört; der Gesichtsausdruck wird zur Maske; die Talgdrüsen des Gesichts steigern ihre Produktion ("Salbengesicht");der Betroffene spricht leise und undeutlich; das Schlucken geschieht verzögert; der Gang wird schlurfend und kleinschrittig; Bewegungen des Rumpfes fallen zunehmend schwerer; die Hände verlieren einen Teil ihrer Geschicklichkeit; im Liegen kann der Blutdruck erhöht sein; der Kreislauf ist schlecht reguliert; Libido und Potenz sind gestört; es kommt zu Durchfall oder Verstopfung, weil die Bewegungen im Magen-Darm-Trakt gestört sind; Schweißausbrüche kommen vermehrt vor; die Wahrnehmung ist eingeschränkt, es kommt zu Sinnestäuschungen und Trugbildern; es fällt dem Betroffenen zunehmend schwerer, aufmerksam zu bleiben, und, und, und.

Bis heute sei keine Behandlung möglich, die es verhindere, dass die Nervendegeneration weiter fortschreitet oder auch nur aufgehalten würde, aber immer sei ausreichend Bewegung angezeigt. Medizinisch werden die Symptome durch L-Dopa-Gaben, der Vorstufe des Dopamins, behandelt. Andere Behandlungsverfahren, die nicht auf Medikamenten basieren, sind Krankengymnastik, Logopädie, Sprach- oder Ergotherapie. Alternative Methoden, die zum Einsatz kommen sind z. B. Yoga, Akupunktur, Meditation und andere Entspannungstherapien, Massagen oder Taijiquan. Es wird auch versucht, durch Vitamingaben eine positive Wirkung zu erzielen.

Im Zusammenhang mit MORBUS PARKINSON schreibt das "Akademische Wörterbuch", dass eine signifikante Wirkung der Alexandertechnik auf die Parkinson'sche Krankheit nicht nachgewiesen werden konnte. Das Folgende ist nun der Versuch, mit der Methode der modernen Physik, dem Gedankenexperiment, Argumente für die Hypothese anzuführen, dass Alexandertechnik sehr wohl positive Wirkungen hat.

Prävention durch Alexandertechnik

Gerade weil sich die Parkinson'sche Krankheit zunächst sehr schleichend im Verborgenen entwickelt, ist es angeraten, gar nicht erst die Bedingungen zuzulassen, unter denen sie sich entfalten kann. Es gilt zu verhindern, "dass sich spezifische Probleme oder Funktionsstörungen entwickeln", dies schreibt F. M. Alexander in seinem letzten Buch mit dem Titel "Die Konstante im Fluss des Lebens", das im Herbst 2019 bei BoD als deutsche Übersetzung von THE UNIVERSAL CONSTANT IN LIVING erscheinen wird. Weiter heißt es dort: "In all den Fällen, in denen sich krankmachende Veränderungen herausgebildet haben, wird der richtige Einsatz der Primärkontrolle bei allen Aktivitäten fortlaufend gestört." Der richtige Einsatz der Primärkontrolle garantiere auf der anderen Seite das bestmögliche Funktionsniveau aller Teile und aller Prozesse, wie auch die gesündeste Gewebezusammensetzung.

Nun wird MORBUS PARKINSON als eine Funktionsstörung beschrieben, bei der die Produktion von Dopamin verringert wird, weil nach und nach Nervenzellen absterben. Es gilt also festzuhalten: Wenn bei einem Menschen durch Alexandertechnik ein guter Gebrauch installiert worden ist, indem dieser gute Gebrauch verhindert, dass er in den richtigen Einsatz der primären Kontrolle von Kopf, Hals und Rücken eingreift, ist eine Funktionsstörung, wie es die Dopaminausschüttung ist, tatsächlich von vornherein ausgeschlossen.

Der richtige Gebrauch des Kopfes verhindert die chronische Fehlsteuerung der Stellreflexe

Im Akademischen Wörterbuch wird angeführt, dass eine Störung der Stellreflexe bewirkt, dass es zu Gang- und Standunsicherheit kommt, weil die kleinen, aber schnellen reflektorischen Ausgleichsbewegungen verzögert werden.

Die tonischen Stellreflexe des Halses hat Prof. Rudolph Magnus ausgiebig erforscht. Er schreibt in seinem Werk "Körperstellung" dieses: "Dadurch, dass man die Stellung des Kopfes zum Körper ändert, bewirkt man, je nachdem, ob man den Kopf hebt, senkt, dreht oder wendet (Beim Menschen ist das Wenden ein Neigen!), verschiedene Stellungsänderungen des Halses. Diese sind die Ursache für tonische Reflexe auf die Gliedermuskeln, die sich in einer Zu- oder Abnahme des Streckmuskeltonus äußern und welche ganz eindeutig bestimmten Gesetzen gehorchen."

Zu diesen Gesetze ist man mit Tierversuchen gelangt und es gibt eigentlich keinen Grund, sie nicht auch auf die Verhältnisse des Menschen zu übertragen, solange man berücksichtigt, "dass die Dinge beim erwachsenen Menschen viel verwickelter liegen müssen", weil die Balance auf zwei Füßen ganz andere Anforderungen an den Menschen stelle als das Stehen auf vier Extremitäten.

Einige dieser Gesetzmäßigkeiten besagen:

Bei Kopfdrehen nimmt der Tonus der Streckmuskulatur auf der Kieferseite zu und auf der Schädelseite ab.

Beim Kopfneigen, nach links z. B., bei dem sich das linke Ohr der linken Schulter nähert, entspricht die Wirkung dem Kopfdrehen.

Bei Senkung des Kopfes nimmt der Strecktonus in den oberen Gliedmaßen mehr ab als in den unteren, bei Hebung des Kopfes nimmt der Strecktonus entsprechend zu.

Solange die Veränderungen des Kopfes zum Körper ausschließlich im Atlanto-Occipital-Gelenk geschehen, fehlt in den meisten Fällen jeder Einfluss auf den Strecktonus.

Bei den tonischen Halsreflexen erfolgt eine wirkliche kräftige Streckung der beteiligten Extremitäten. Die stärkste Reaktion tritt stets im Schulter- und im Ellenbogengelenk des Armes und im Hüft- und im Kniegelenk des Beines ein.

Mit diesen Gesätzmäßigkeiten zu den Stellreflexen ist vielleicht zu erklären, warum die Parkinson'sche Krankheit auf einer Körperseite beginnt und auf dieser Seite dann auch stärker ausgeprägt bleibt: Wenn der Kopf gewohnheitsmäßig ständig zu einer Seite geneigt ist, bleiben die Stellreflexe auf dieser Seite ständig erregt und auf der anderen Körperseite ist der Tonus ständig herabgesetzt. Es müsste nun empirisch überprüft werden, ob sich die Krankheit tendenziell auf der Seite zuerst bemerkbar macht, deren Tonus ständig reduziert ist und somit die Neigung des Kopfes zur anderen Seite die einseitige relative Erschlaffung der Muskulatur zur Folge hat.

MORBUS PARKINSON nimmt auf den beiden Seiten des Körpers ja einen sehr unterschiedlichen Verlauf. Dies lässt die Vermutung zu, dass die Kopfstellung durchaus Auslöser der Krankheit sein kann, auch wenn es keine "eineindeutige" Zuordnung gibt, wie Prof. Magnus feststellt, wenn er schreibt: "Das Auftreten der tonischen Halsreflexe auf die Extremitäten (ist) nicht für eine bestimmte Krankheitsform charakteristisch."

Nun werden die tonischen Halsreflexe nicht aktiviert, solange die Veränderungen des Kopfes zum Körper ausschließlich im Atlanto-Occipital-Gelenk geschehen. Genau das ist es aber, was mit der Alexandertechnik gelernt werden kann: den Kopf nicht in den Hals sinken zu lassen, so dass die primäre Kontrolle, die das natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken regelt, nicht gestört wird. Ein Mensch mit einer funktionierenden Primärkontrolle wird bei allen seinen Aktivitäten nicht dadurch behindert, dass diese Aktivitäten von zu viel Muskelanspannung begleitet werden und dass es deshalb zu einer enormen Energievergeudung kommt. Alexandertechnik wirkt also zum einen präventiv, so dass sich MORBUS PARKINSON gar nicht erst entwickeln kann und zum anderen steht einer Annäherung an normalere Verhältnisse nichts mehr im Wege, wenn mit dem richtigen Gebrauch des Kopfes im Atlanto-Occipital-Gelenk die Gründe für die chronische Fehlsteuerung der Stellreflexe entfallen.

Bewusste Steuerung und Kontrolle

Der Kranke, mehr noch als jeder andere normal Sterbliche, hat mit so vielen Funktionsausfällen und Funktionseinschränkungen zu kämpfen, dass er mit seiner unterbewussten Steuerung wie ein Segelschiff ist, das mit gebrochenem Mast im Ozean treibt. Hilflos ist er den Stürmen des Lebens ausgesetzt. Alexandertechnik bietet in einer solchen Situation mit einer Steuerung und Kontrolle über das Bewusstsein - es ist tatsächlich das wertvollste Vermächtnis der Evolution an den Menschen - eine Hilfe an, wie sie wertvoller nicht sein kann, so dass an diesem neuen Mast das Segel des Lebens sicher gesetzt werden kann.

"Die Basis für die bewusste Steuerung und Kontrolle, für die ich eintrete, ist allgemein und weit und nicht spezifisch. (.....) Die spezielle Kontrolle eines Fingers, des Halses oder der Beine sollte zuallererst das Ergebnis einer bewussten Steuerung und Kontrolle der Mechanismen des Torsos sein. Insbesondere sollte die Muskeltätigkeit der Antagonisten des Torsos bewusst kontrolliert werden, die die richtigen und übergeordneten koordinierten Verhältnisse bewirken." Dies schreibt F. M. Alexander in Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert (BooksonDemand, 2018), der deutschen Übersetzung von MAN'S SUPREME INHERITANCE.

Und weiter schreibt er:"Es kommt nicht selten vor, dass ich Fälle von angeborener oder erworbener Lähmung und Entstellung behandeln muss. Ich protestiere an dieser Stelle gegen eine Geisteshaltung, die solche Leiden hinstellt, als ob sie unheilbar seien und der Patient keine Kontrolle über sie hätte. (....) Tatsächlich bleibt sein Zustand nur deshalb unverändert, weil er falsche Vorstellungen in Bezug auf "Ursache" und "Wirkung" und in Bezug auf die Arbeitsweise seiner eigenen Mechanismen hat. So verursacht er unterbewusst, aber sehr effektiv selbst zusätzliche Probleme und hält an ihnen fest. Bei meiner Methode steht eine genaue Untersuchung am Anfang. Dann werden verschiedene Tests eingesetzt, um herauszufinden, was die wirkliche Ursache oder die wirklichen Ursachen für die Behinderung sind und insbesondere welche vorgefassten, falschen Vorstellungen der Schüler hat. Und ich will auch heraufinden, welche minimale Kontrolle noch vorhanden ist."

Liebe Marie, wenn ich den Leser nicht ermüden will, sollte ich an dieser Stelle wirklich abbrechen. Natürlich konnte man nicht erwarten, dass wir mit unserem kleinen Gedankenexperiment zu einem abschließenden Ergebnis gelangen würden. Aber ich will noch einmal zusammenfassen: Mit Alexandertechnik kann der Ausbruch schwerwiegender Erkrankungen von vornherein verhindert werden. F. M. Alexander sieht zudem gute Chancen, dass auch schwerwiegende Fälle, und MORBUS PARKINSON ist sicherlich eine schwerwiegende Erkrankung, von seiner Technik profitieren können, wenn es gelingt, bei dem Erkrankten von einer unterbewussten auf eine bewusste Steuerung und Kontrolle umzustellen. Mit einer solchen Steuerung über das Bewusstsein kann das Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken wieder so in Ordnung gebracht werden, dass die beständige Aktivierung der tonischen Stellreflexe des Halses verschwindet, weil der Kopf nicht länger ständig zu einer Seite geneigt ist. Unter diesen Bedingungen können sich auch alle Funktionen nach und nach wieder dem Normalen annähern.

Und es ist auch nicht zu unterschätzen, dass der Erkrankte nicht länger Spielball seiner Krankheit ist. Er übernimmt wieder selbst die Initiative und schränkt mit Alexandertechnik die Reichweite seiner Krankheit mehr und mehr ein.

Bis bald

Dein Großvater

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