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Im Brennglas der Alexandertechnik: Smartphone


Liebe Marie,

nichts habe unseren Alltag in den vergangenen zehn Jahren mehr verändert als das Smartphone. Zwei bis drei Stunden am Tag beschäftigten sich die Menschen heutzutage durchschnittlich damit: Sie lassen sich unterhalten, sind immer erreichbar und können auch produktiv damit tätig sein. Bis zu hundert Mal am Tag werde das Smartphone in die Hand genommen und entsperrt. Es wird "gesimst", "geswypt", "gewhatsappt", getippt, getoucht, gewischt, geschrieben oder geschoben, im wahrsten Sinne "bis der Arzt kommt". Der Daumen sei in einem derartigen Dauerstress, dass die Medizin ein neues Krankheitsbild entdeckt hat: den Handy- oder Smartphonedaumen. In Folge von Überlastung durch krampfhafte Wiederholung und besondere Anspannung entzündeten sich die Sehnenscheiden an den Daumenstrecksehnen, zumal die Daumen aufgrund der vielen Sehnen von vornherein anfälliger als andere Finger dafür seien, so ein Orthopäde an der Universitätsklinik Essen.

Obwohl der Handy-Daumen ein relativ neues Phänomen ist, ist die Medizin schnell mit ihren Möglichkeiten bei der Hand. Zur Behandlung eines Smartphonedaumens empfiehlt sie je nach Lage der Dinge Ruhe, entzündungshemmende Salben, Gips oder Schiene zur Ruhigstellung des Daumens, Physio- oder Ergotherapie und als ULTIMO RATIO eine Operation. Das alles kann das Krankheitssymptom Handydaumen durchaus und so gut wie möglich behandeln. Alle diese Maßnahmen haben aber keinen Einfluss auf die Ursache der Daumenschmerzen: den falschen Gebrauch des Daumens in Verbindung mit einer Störung der primären Kontrolle von Kopf, Hals und Rücken. Erst wenn es gelungen ist, diese Störung zu beseitigen, steht einer wirklichen Erholung des Daumens nichts mehr im Wege.

Und diese Störung der Primärkontrolle kann mit den Mitteln der Alexandertechnik beseitigt werden. "Jeder Mensch, der diese Technik erlernt hat, die die Störung der Arbeit der primären Kontrolle korrigiert, wird in der Lage sein, sie im täglichen Leben in jedem Bereich und bei jeder Form von Aktivität praktisch anzuwenden." Das schreibt F. M. Alexander in seinem letzten Buch THE UNIVERSAL CONSTANT IN LIVING. (Eine Neuübersetzung ins Deutsche wird im Herbst 2019 unter dem Titel: Die Konstante im Fluss des Lebens erscheinen.) Und das gilt auch für die intensive Nutzung des Smartphones. Es trifft nicht nur auf den Gebrauch des Daumens zu, sondern auch auf all die anderen Verhaltensweisen, die mit der Nutzung des Handys zusammenhängen.

In der Cartoonzeichnung unten lassen sich einige dieser Verhaltensweisen erkennen, die sich bei einer gestörten Primärkontrolle als äußerst schädlich erweisen. Der Cartoonist muss nicht nur einen genauen Blick für das Detail gehabt haben, ihm ist es auch gelungen, das in seinem Cartoon zeichnerisch sichtbar zu machen, was er, bewusst oder unterbewusst, wahrgenommen hat. Man erkennt in die Schultern gezogene Köpfe, hochgezogene Schultern, gerundete Rücken, bei der Frau im grünen Kleid einen seitlich verschobenen Kopf, den starrenden Blick, der bei der Handy-Nutzung so geläufig ist, versteifte Knie, nach innen (Mann im weißen Hemd) oder außen (Mann im orangenen Hemd) abknickende Fußgelenke, die herabhängenden Mundwinkel bei der Frau im gelben T-Shirt und einiges andere mehr.

Menschen am Handy

Dies alles hat seine Ursache darin, dass die betroffenen Menschen in das gesunde, natürliche Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken eingreifen. Deshalb würde es auch nicht helfen, die Frau im cognacfarbenen Kostüm auf ihre schädliche Art des Gehens hinzuweisen, wenn sie die Beine nicht nebeneinander, sondern in einer Linie voreinander setzt, was negative Auswirkungen auf ihre Hüftgelenke und auf ihr Gleichgewicht haben muss. Selbst wenn sie diese Gewohnheit auf Dauer ablegen könnte, was eher unwahrscheinlich ist, wenn ihr dabei nicht geholfen wird, würde sich die Störung der Primärkontrolle auf eine andere Weise bemerkbar machen, die ggf. noch schädlicher ist. Was wirklich hilft? Die Probleme müssen an der Wurzel angegangen werden: Der Mensch muss lernen, nicht länger in das primäre Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken einzugreifen.

Ein solcher Lernprozess stellt durchaus hohe Anforderungen an denjenigen, der sich darauf einlässt. Er muss akzeptieren, dass seine sinnliche Wahrnehmung, insbesondere seine kinästhetische Wahrnehmung nicht so ist, dass man sich darauf verlassen könnte. Er muss bereit sein, von liebgewonnenen Gewohnheiten Abschied zu nehmen, im Großen, wenn er aufgefordert ist, z. B. seinem übermäßigen Alkholgenusss zu entsagen, wie im Kleinen bestimmter Bewegungsmuster, das Eine eine so große Herausforderung wie das Andere. Er muss lernen, diese schädlichen Bewegungsmuster zu hemmen. Und seine Umschulung durch einen Alexanderlehrer wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber am Ende wird es sich gelohnt haben. Wenn der Lernprozess nämlich abgeschlossen ist, wird der Betroffene fortan eine Störung seiner primären Kontrolle verhindern können. Dann wird er auch in der Lage sein, solange mit seinen Daumen die Oberfläche seines Smartphones zu bearbeiten, wie es ihm beliebt, ohne dass er Schaden nimmt.

Ooops! Eine SMS, deren Beantwortung natürlich keinen Aufschub duldet! Meine Daumen müssen augenblicklich über die Tastatur meines Handys fliegen. Keine Zeit mehr, näher darauf einzugehen, dass auch ein Daumenmuskeltraining via WhatsApp angeboten wird und dass eine japanische Firma einen Thump-Extender, einen Silikon-Aufsatz für den Daumen, anbietet.

Bis bald

Dein Großvater

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