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Im Brennglas der Alexandertechnik: Gesundheitskompetenz


Liebe Marie,

etwa 40 Millionen Bundesbürger weisen eine schlechte Gesundheitskompetenz vor. Sie haben

z. B. Probleme, die Packungsbeilage eines Schmerzmittels richtig zu verstehen oder wirklich einzuordnen, was der Arzt ihnen gesagt hat, so eine Studie der Universität Bielefeld. Jetzt wachse aber langsam das Bewusstsein dafür, dass Gesundheitskompetenz wichtig sei. Man hat einen Leitfaden zu ihrer Verbesserung entwickelt. Darin werden im Gesundheitswesen selbst und im Bildungssystem Veränderungen angemahnt. So solle Gesundheitskompetenz in den Lehrplan der Schulen aufgenommen und die Arzt-Patienten-Kommunikation durch die sogenannte Teach-Back-Methode verbessert werden.

Die Gesundheitskompetenz der Menschen zu verbessern, insbesondere der jungen Menschen, war schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Anliegen F. M. Alexanders. Nur hat er darunter etwas völlig anderes verstanden: Ihm ging es wahrlich nicht darum, einen Beipackzettel lesen und verstehen zu können. Ihm schwebte vor, dass alle jungen Menschen in besonderen Schulen einen Gebrauch ihres Selbst erlernen sollten, der ihrem Organismus nicht schadet, sondern guttut. Es ist nämlich in der Tat ausgesprochen sinnvoll, den Rahmen für eine gesunde Entwicklung des Menchen zu schaffen, bevor die Flut der Gedanken in die festen Bahnen der schlechten Gewohnheiten gepresst wird.

F. M. Alexander selbst hat zunächst in England eine eigene Schule gegründet, die er wegen des 2. Weltkrieges nach Amerika ausgelagert hat. Unter seinen erfahrenen und geschickten Händen lernten die Schüler zunächst, ihre Fehler im Selbstgebrauch mit ihren Sinnen wahrzunehmen, insbesondere wurde die kinästhetische Wahrnehmung der Schüler geschult. Dann wurde ihnen beigebracht, diese Fehler zu hemmen, um schließlich die primäre Kontrolle über das Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken zu erlangen. Mit dieser Primärkontrolle, die verhindert, dass in das primäre Verhältnis von Kopt, Hals und Rücken eingegriffen wird, waren die Kinder fortan gerüstet, um allen Herausforderungen des Lebens gewachsen zu sein. Etliche der Schüler und Schülerinnen wurden zur 1. Lehrergeneration nach F. M. Alexander. Diese neue Generation von Alexanderlehrern würde dann neue Schüler ausbilden, die dann, einem Schneeballsystem gleich, die 2. Generation ausbilden würde. Und immer so weiter. Das war jedenfalls der Plan. Leider hat sich die Hoffnung F. M. Alexanders, nach und nach sehr viele Menschen zu erreichen, nur bedingt erfüllt.

So ist Gesundheitskompetenz heute zu einem Thema in unserer Gesellschaft geworden. Dies deutet darauf hin, dass man trotz aller Neuerungen im Bereich der Medizin, trotz besserer Ausbildung der Ärzte, trotz neuer Medikamente, trotz genauerer Dosierungen der Arzneien und Bestrahlungen und trotz 'besserer' Operationsverfahren weiterhin unzufrieden mit den erzielten Resultaten ist. Und die Resultate der ärztlichen Bemühungen können auch gar nicht zufriedenstellend sein, weil die verschiedenen Medikamente, Therapien, Heilverfahren und Operationen allesamt nur die Symptome von Krankheit behandeln und nicht die Wurzel der Übel: den fehlerhaften Selbstgebrauch.

Prof. Marie-Luise Dierks von der Medizinischen Hochschule Hannover wird mit den Sätzen zitiert: "Manchen Menschen fehlt die Fähigkeit, gut mit der eigenen Gesundheit umzugehen. Sie sind in der Folge kränker, schlechter versorgt und haben mehr Unfälle." Diese Sätze treffen mehr ins Schwarze, als es sich der Autor vielleicht vorgestellt hat, wenn wir anstelle von "manchen Menschen" von den meisten Menschen sprechen und wenn wir "gut mit der eigenen Gesundheit umgehen" so beschreiben, dass wir von uns selbst einen guten und richtigen Gebrauch machen.

Wenn man heute durch die Straßen unserer Städte geht, wird uns das Ausmaß des schädlichen, falschen Selbstgebrauchs drastisch vor Augen geführt: Nicht als eine Ausnahme sondern in aller Regel sieht man einwärts gedrehte Beine und Füße, hängende oder hochgezogene Schultern, zurück- und eingezogene Köpfe, durchgedrückte Knie, verdrehte Hüften, versteifte Wirbelsäulen, Lordosen und Kyphosen der Wirbelsäule, gestauchte, verkrümmte oder verdrehte Brustkörbe, nach innen oder außen einknickende Fußgelenke, eingezogene Zehen, zusammengezogene oder abgeplattete Fußgewölbe und vieles andere mehr in verschiedenen Zusammensetzungen und Ausprägungen und in allen Altersgruppen. Ganz zu schweigen von der allgegenwärtigen Fettleibigkeit, die mit Gewichts- Gleichgewichts- und Gewebeverlagerungen einhergeht. Dies alles ist Ausdruck eines Eingriffs in die primäre Kontrolle von Kopf, Hals und Rücken mit weitreichenden Konsequenzen.

Zu diesen weitreichenden Konsequenzen schreibt F. M. Alexander in Die Konstante im Fluss des Lebens, der Neuübersetzung ins Deutsche von THE UNIVERSAL CONSTANT IN LIVING (BookonDemand, Anfang 2020): "Niemand kann sich eines optimalen Funktionsniveaus erfreuen, wenn der Einsatz der Primärkontrolle bei allen Aktivitäten dermaßen gestört ist, dass die individuelle Gebrauchsweise beständig das allgemeine Funktionsniveau absenkt." Ein zu geringes Funktionsniveau bedeutet aber nichts anderes, als dass die Organe, Systeme, Gelenke, Muskeln, Mechanismen und Gewebestrukturen des betroffenen Menschen ihre Funktion so verändern, dass sie mit Krankheit reagieren.

Ist es in einer solchen Situation wirklich hilfreich, jemandem beizubringen, "einen Beipackzettel richtig zu lesen" oder die Teach-Back-Methode anzuwenden, bei der Patient das, was der Arzt ihm gesagt hat, noch einmal wiederholen soll, in der Hoffnung, auf diese Weise werde er das Wesentliche der Medikation im Kopf behalten? Ich glaube, liebe Marie, dass hier die Prioritäten völlig falsch gesetzt sind: Wenn das allgemeine Funktionsniveau herabgesetzt ist, was bei Krankheit immer der Fall ist, ist es nämlich entscheidend, dass der individuelle Selbstgebrauch des Patienten so verbessert wird, dass die primäre Kontrolle von Kopf, Hals und Rücken nicht länger gestört wird. Und die Methode, mit der dies gelingen kann, ist die Alexandertechnik.

Bis bald

Dein Großvater

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