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Im Brennglas der Alexandertechnik: Die Atmung


Der Baum als Symbol der Alexandertechnik

Liebe Marie,

das Luftholen wolle gelernt sein, dies steht in der Wochenbeilage rtv Gesundheit meiner Tageszeitung. Falsches Atmen, vor allem eine zu flache Atmung, sei der Grund für eine Unterversorgung mit Sauerstoff. Mit bewusstem Atmen und gezielten Übungen ließen sich aber die Atemwege stärken und Erkältungskrankheiten vorbeugen.

Man hat F. M. Alexander zu Beginn seiner Laufbahn den Beinamen "The Breathing Man" gegeben. Wir können also davon ausgehen, dass seine Ablehnung gegenüber Atemübungen jeglicher Art aufgrund von fundierten Kenntnissen erfolgt ist.

Nun hängt die Widerstandskraft eines Organs gegen Krankheit davon ab, dass dieses Organ angemessen und gut funktioniert. So stellt sich also hier die Frage, wie die Funktion der Lunge und der dazugehörigen Atemwege gestärkt werden können, wenn nicht durch spezielle Übungen, wie es landläufig versucht wird. In "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert" (BooksonDemand, 2018), der deutschen Übersetzung von MAN'S SUPREME INHERITANCE schreibt F. M. Alexander, dass ein Prozess in Gang gesetzt werden müsse, der die Körperteile durch einen neuen und richtigen Gebrauch der Muskelmechanismen neu justiert. Diese Veränderung erzeuge den entscheidenden mechanischen Vorteil bei allen Körperteilen, die von der Atmung betroffen sind. "Weil die dafür relevante Maschinerie jetzt richtig verwendet wird, werden Expansion und Kontraktion des Brustkorbs in einer Weise ermöglicht, die dem atmosphärischen Druck Gelegenheit gibt, sein Werk vollständig zu vollbringen."

Bevor jedoch der Gebrauch der betroffenen Muskelmechanismen eines Menschen überhaupt verändert werden kann, müsse seine mentale Einstellung zur Atmung und zu ihren spezifischen Bewegungen verändert werden. So müsse er verstandesmäßig eingesehen haben, dass die Luft bei richtiger Atmung nicht aktiv eingesogen wird, sondern aufgrund der Unterdruckverhältnisse, die sich zum Ende der Ausatmung einstellen, passiv einströmt. Er müsse zudem ein Verständnis dafür aufbauen, dass bestimmte Positionen mit mechanischem Vorteil das ungehinderte Einströmen der Luft erleichtern. Er muss Kenntnis davon erhalten, dass mechanisch nachteilige Positionen die Beweglichkeit des Brustkorbs stark einschränken. Ein Brustkorb, der in seiner Beweglichkeit eingeschränkt ist, lässt nämlich nur zu, dass relativ wenig Luft einströmt: Die Sauerstoffzufuhr ist folglich erheblich reduziert.

Was nun die Flachatmung als eine Form des falschen Atmens angeht, schreibt F. M. Alexander in Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen (BooksonDemand, 2018), der deutschen Neuübersetzung von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIVIDUAL: "Die Qualität der Atmung hängt davon ab, dass die geistig-körperlichen Mechanismen generell auf einem entsprechenden Koordinationsniveau gebraucht werden. Wir sollten deshalb nicht davon sprechen, dass jemand "schlecht atmet", sondern vielmehr davon, dass er schlecht koordiniert ist."

Wenn ich nun aufzeigen will, welche Auswirkungen eine schlechte Koordination auf die Atmung hat, kann ich nichts besseres tun, als erneut aus "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert" zu zitieren: "Bestimmte Muskeln der Mechanismen des Brustkorbs, die eigentlich bei der Ausführung der Atembewegungen die Führung übernehmen sollten, verbleiben während des größten Teil des Lebens völlig inaktiv und andere Muskeln wiederum, die von der Natur niemals dafür gedacht waren, den Takt der Atembewegungen zu bestimmen, sondern nur der Entlastung oder als Ersatz dienen sollten, werden einzig und allein für die Atmung eingesetzt. Daraus entstehen Verhältnisse, die die Haltung, die Körpersymmetrie und die normale, graziöse Linienführung des gesamten Körperrahmens verändern und umbilden. Auch das Fassungsvermögen und die Beweglichkeit des Oberkörpers werden stark reduziert. Seine Form verändert sich in schädlicher Weise, insbesondere an den Flanken des unteren Brustbereichs, an den Schlüsselbeinen und im Lendenwirbelbereich. Das Gewebe der Bauchwand gelangt in eine andere Lage. Herz, Lungen und andere lebenswichtige Organe gelangen in Positionen, die tiefer liegen, als es normalerweise der Fall ist." Diese veränderten Verhältnisse seien "entscheidende Faktoren, die die natürliche Aktivität aller am Atemprozess beteiligtenTeile deutlich langsamer machen. Deshalb sind sie auch nicht mehr in der Lage, auf natürliche Weise und vollständig ihre Aufgaben wahrzunehmen."

Um nun die Teile des Organismus zu koordinieren, wird es mit Sicherheit nicht genügen, "einen Nasenflügel zuzuhalten und den anderen zu klöpfeln", "mit lockeren Fäusten den Brustkorb abzuklopfen", "im Schneidersitz tief einzuatmen und sich beim Ausatmen nach vorne zu beugen" oder "die Hände auf die Schultern zu legen und beim Ein- und Ausatmen die Ellenbogen zur Seite und wieder nach vorne zu führen", wie es die Übungen suggerieren wollen, die in dem Artikel der Wochenbeilage rtv Gesundheit vorgeschlagen werden. Denn bei der Ausführung der Übungen ist die Steuerung und Kontrolle des Übenden an dieselbe fehlerhafte sinnliche Wahrnehmung gekoppelt, die ja erst zu der schlechten Koordination geführt hat, wie F. M. Alexander schreibt.

Nein, liebe Marie, wenn die Rippen wieder ihre volle Beweglichkeit erlangen sollen, wenn es zum Ende der Ausatmung nicht zu einem Einsinken im oberen Brustbereich kommen soll, wenn die Nasenflügel nicht zusammenfallen sollen, wenn der Brustkorb wieder seine angestammte Lage einnehmen soll und wenn das Zwerchfell wieder in der Lage sein soll, sich angemessen zu heben und zu senken, weil die Bauchmuskeln wieder ihre Aufgaben wahrnehmen, müssen die Verhältnisse wirklich grundlegend verändert werden.

Wenn die Medizin eines dieser Symptome auf direktem Wege behandelt, wird sich vielleicht in dem behandelten Bereich ein Erfolg einstellen, wir können aber sicher davon ausgehen, dass mit jedem beseitigten Defekt neue Defekte auftreten, die ggf. schlimmer sind als die ursprünglichen.

Die Vorgehensweise der Alexandertechnik ist indirekt. F. M. Alexander hatte herausgefunden, dass all diese Defekte mit einem allgemeinen Fehlgebrauch des Organismus verbunden sind. Deshalb kann man die Defekte auch nur sinnvoll behandeln, indem der Gebrauch, der mit allen unseren Tätigkeiten verknüpft ist, ob wir nun gehen, sitzen, liegen, küssen, schlafen, arbeiten oder eben atmen, wieder auf eine gesunde Basis gestellt wird. Mit der Alexandertechnik wird uns gezeigt, wie wir uns so gebrauchen können, dass wir nicht länger in die primäre Kontrolle des natürlichen Verhältnisses von Kopf, Hals und Rücken eingreifen. Wenn sich unser Gebrauch dann so verändert hat, wird der Brustkorb auch wieder seine angestammte Position einnehmen, werden die Nasenflügel nicht länger zusammenfallen, wird das Zwerchfell wieder angemessen zum Einsatz kommen, werden die Bauchmuskeln wieder ihre Arbeit aufnehmen und wir werden auch nicht mehr am Ende der Ausatmung im oberen Brustbereich einsinken: Folglich wir sich unsere Atmung allmählich verbessern. Die verbesserte Atmung wiederum unterstützt die gerade angesprochenen Verhältnisse. Die verbesserten Verhältnisse führen zu weiterer Verbesserung der Atmung. Und immer so weiter, ein positiver Kreislauf.

Wenn die Verhältnisse so sind, dass die Luft einströmen kann und dass sich die Amplitude zwischen Ein- und Ausmatmung mehr und mehr vergrößert, ist Atmung, liebe Marie, das beste Fitnessprogramm, das Du Dir vorstellen kannst. Es ist deshalb das beste, weil mit einer solchen Atmung die Muskeln rund um die Uhr so gleichmäßig und harmonisch entwickelt werden, wie es keine noch so sorgfältig zusammengestellten Fitnessübungen vermögen.

Bis bald

Dein Großvater

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