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Im Brennglas der Alexandertechnik: Geeignete Mittel-und-Wege

Der Baum als Symbol der Alexandertechnik

Liebe Marie,

eine gute Freundin von mir - ich gebe ihr hier den Namen Scarlett, was sie sicherlich freuen wird, weil die Scarlett aus dem Roman "Vom Wind verweht" ein Leitbild für sie darstellt - macht zurzeit einen Deutschsprachkurs, um ihre Chancen für ein erfolgreiches Studium oder auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Es ist ihr aber auch wichtig, dass sie in diesem Kurs vor sich und den anderen ein gutes Bild abgibt. Deshalb achtet sie darauf, möglichst wenige Fehler zu machen. So scheut sie z. B. nicht davor zurück, sich unerlaubte Hilfe bei Google zu holen, um den Nachweis zu erbringen, dass sie einen Text gut verstanden hat.

In einem solchen Verhalten macht sich das bemerkbar, was uns von Kindesbeinen an von Eltern und Lehrern beigebracht worden ist: Wir sollen immer alles richtig machen! Dieser Forderung, diesem "Ziel" ordnen wir dann alles andere unter. Diese Forderung wird zur fixen Idee. "Sie führt dann dazu, dass man bedingungslos alles daran setzt, sein "Ziel" zu erreichen, ohne die richtigen MIttel-und-Wege auf eine angemessene Weise und vernünftig zu berücksichtigen." So drückt es F. M. Alexander in "Ein Vermächtnis der Evolution an die Menschheit von unschätzbarem Wert" (BooksonDemand, 2018) aus, der deutschen Erstübersetzung von MAN'S SUPRME INHERITANCE. Wir dürfen sehr wohl Fehler machen! Wir sollten nur aus ihnen lernen. Bei einem Lernprozess sei nicht das richtige Ergebnis wichtig, sondern der richtige Weg dorthin. Wenn der Weg richtig sei, werde sich das gewünschte richtige Ergebnis ganz automatisch einstellen.

Jetzt, liebe Marie, da ich diese letzten Sätze geschrieben habe, geht mir auf, dass sie auch an mich selbst gerichtet sind. Im Moment mache ich nämlich Fehler, wenn ich meine Stimme gebrauche. (Es ist genau die Situation, die F. M. Alexander veranlasst hat, sein System der bewussten Steuerung und Kontrolle zu entwickeln.) F. M. Alexander hatte sehr wohl vorausgesehen, dass es jemand, der seine Prinzipien anwendet, mit Rückschlägen zu kämpfen habe. Er hat aber auch die Gewissheit gehabt, dass mit seinem System ein Verfahren bereitsteht, um mit den Rückschlägen fertig zu werden. Wie kann ich nun daraus lernen? Nun zunächst muss ich aufdecken, was meine Fehler sind. (Ich vermute, dass ich mich zu sehr mit Details beschäftigt und dabei die Primärkontrolle aus den Augen verloren habe. Und ich habe den Positionen mit einem mechanischem Vorteil nicht die notwendige Beachtung geschenkt. Als nächtes gilt es, die Fehler zu vermeiden, sie also zu hemmen. In einem dritten Schritt muss ich mich wieder verstärkt darauf besinnen, nicht in das Verhältnis von Kopf, Hals und Rücken einzugreifen. Stattdessen erteile ich mir die Befehle zur Primärkontrolle und stelle sicher, dass ich die Umsetzung der Befehle ebenfalls umgehend hemme.

Es gab durchaus vorher schon Anzeichen für einen Kontrollverlust auf meiner Seite, wenn ich z. B. einen Teller fallen gelassen habe oder wenn ich den falschen Schalter umgelegt habe, so dass der Tortenboden im Ofen schwarz geworden ist. Nur habe ich sie nicht wichtig genommen. Auf den Stimmverlust muss ich jetzt mit geeigneten Mitteln-und-Wegen reagieren, insbesondere werde ich wohl in der täglichen Praxis meines Tuns den Positionen mit einem mechanischem Vorteil ausreichend Beachtung schenken müssen. Denn das ist mir klar geworden: Allzu oft habe ich mich in der letzten Zeit in Positionen mit einem mechanischen Nachteil begeben, wenn ich mal eben auf die Schnelle dies oder das erledigen wollte. Im Prinzip habe ich mich nicht anders Verhalten als Scarlett und habe das "Ziel" verfolgt, ohne auf die richtigen MIttel-und-Wege zu achten.

In dem deutschen Kultfilm "Wer früher stirbt, ist länger tot" gibt es zwischen Sebastian und dem Priester den folgenden Dialog:

Sebastian: "Wie kann ich unsterblich werden?"

Priester: "Unsterblich? Unsterblich, Sebastian, werden wir nur in der Obhut unseres Schöpfers, dessen Güte uns dereinst für das ewige Leben auserwählen wird."

Sebastian:"Und was mach' ich da jetzt? Also konkret?

Priester: "Glauben, Sebastion, glauben."

Wenn Du, liebe Marie jetzt fragst, ob es vielleicht etwas konkreter geht, ist diese Frage wohl mehr als berechtigt und die Alexandertechnik gibt auch erschöpfender Auskunft: Die Aufmerksamkeit sei darauf zu richten, eine fehlerhafte Bewegung zu verhindern und sie durch die richtige Bewegung zu ersetzen. Wenn die Atemkontrolle verloren gehe, so F. M. Alexander, beruhe dies darauf, dass der Mechanismus des Brustkorbs schlecht gebraucht werde, und darauf, dass nach der Einatmung der mechanische Vorteil einer guten Stellung des Brustkastens und des Körperaufbaus insgesamt verloren gegangen sei. Dieser mechanische Vorteil verhindere, dass der obere Brustbereich am Ende der Ausatmung übermäßig und auf schädliche Weise nach unten sacke.

Das ist also die fehlerhafte Bewegung: Ich muss verhindern, dass ich den oberen Brustbereich zum Ende der Ausatmung zu sehr heruntersacken lasse. Und in meinem speziellen Fall kommt noch etwas anderes hinzu: Wenn ich mich setze oder wieder aufstehe, hat dies nach der Methode zu geschehen, die F. M. Alexander beschreibt. Insbesondere muss ich verhindern, dass ich dabei die Arme benutze und die Schultern zurückziehe. Zu erreichen ist dies, ohne dass es zu schädlichen anderen Defekten kommt, allein mit der Methodik und den Prinzipien der Alexandertechnik.

Es gibt einen äußeren mechanischen Nachteil, der meine Stimmprobleme indirekt begünstigt haben kann, die senkrechte Stellung meines Computerbildschirms. Diese senkrechte Stellung hat mich dazu veranlasst, meinen Hals zu versteifen, den Kopf zurückzuziehen und die Wirbelsäule zu verkürzen. Ich habe also auf schädliche Weise in die Primärkontrolle eingegriffen, weil ich nicht in der Lage war, mich flexibel auf den senkrechten Bildschirm einzustellen. Wenn ich schon (noch) nicht in derLage bin, flexibel auf diese Situation zu reagieren, wird ein veränderter Bildschirmwinkel hoffentlich darür sorgen, dass meine Probleme in Verbindung mit den MItteln-und-Wegen der Alexandertechnik gelöst werden.

Ich werde Dir demnächst darüber Bericht erstatten.

Bis bald

Dein Großvater

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