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Im Brennglas der Alexandertechnik: Stufenmodell der Erkennntnis


Der Baum als Symbol der Alexandertechnik

Liebe Marie,

ein Dozent an der Pädagogischen Hochschule in Hagen, Walter Knuff, hatte zu meiner Studienzeit die Neigung, das, was er vermitteln wollte, in "Raster", wie er es nannte, zu verpacken. Heute verwende ich in meinem Brief an Dich dieses Prinzip und stelle Dir das 'Stufenmodell der Erkenntnis' vor. Aber nimm es bitte nicht als etwas, das wissenschaftlich irgendwie gesichert wäre, sondern sieh es als ein durchaus ernst gemeintes "Hirngespinst" Deines Großvaters.

Ich habe ja letzte Woche aus einem Brief zitiert, den ein Klient an F. M. Alexander geschrieben hatte. "Ich bin jetzt an dem Punkt angelangt, dass ich spüre, wie sich meine Kiefer entspannen, wenn mein Rücken arbeitet. Ich glaube wirklich, dass ich meine Kiefermuskulatur benutzt habe, um mich aufrecht zu halten. Und ich beginne auch wahrzunehmen, wie wenig ich Lippen und Zunge beim Sprechen eingesetzt habe." (F. M. Alexander, "Die Konstante im Fluss des Lebens", deutsche Neuübersetzung von THE UNIVERSAL CONSTAnT IN LIVING, BooksonDemand, 2019)

An diesen Sätzen kann ich gut die verschiedenen Erkenntnisstufen meines Stufenmodells aufzeigen. Sie belegen, dass der Schreiber des Briefes auf jeden Fall die Stufe hinter sich gelassen hat, auf der er Informationen überhört, übersehen oder überlesen hat. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie leicht dies möglich. Noch heute, über 30 Jahre nachdem ich angefangen habe, mich mit den Schriften F. M. Alexanders zu beschäftigen, entdecke ich darin Informationen, die ich bis jetzt überlesen habe oder die ich zwar gelesen habe, aber bis jetzt nicht verarbeiten konnte. Nun ist gerade in den Bücher von F. M. Alexander jeder Satz ein Informationsträger. Mit jedem Wort und jedem Satz will der Autor dem Leser etwas sagen, was für ihn relevant ist. Genauso ist auch alles, was von außen an mich herankommt, für mich persönlich relevant. Dass Du z. B. jetzt eine Zahnspange trägst, die Zähne und Kiefer richten sollen, hat mich fragen lassen, wie ich meinen Kiefer gebrauche, und ich habe mit der Methode der Alexandertechnik positiv darauf Einfluss nehmen wollen. Und in der Tat habe ich mich auch gefragt, ob ich meine Kiefermuskulatur nicht auch benutze, um mich aufrecht zu halten. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass F. M. Alexander seinem Schützling wiederholt mitgeteilt hat, er tue dies. Nur ist der Leser auf dieser ersten Stufe zur Erkenntnis noch nicht so weit, dass er sich für die Angebote öffnen kann oder will und so wird er es lange Zeit einfach nicht gehört haben.

Damit komme ich zur zweiten Stufe der Erkenntnis. Der Schüler hört, sieht, liest jetzt, was es aufzunehmen gilt. Aber er versteht noch nicht wirklich, was er da gehört, gelesen, gesehen hat. Die zweite Stufe ist somit gekennzeichnet von einem fehlenden Verständnis für die erhaltenen Informationen. Wenn jemand auf die dritte Stufe der Erkenntnis gelangen will, wenn er also die neuen Informationen verstehen will, müssen sie irgendwie eingeordnet und erläutert werden. Im Falle der Alexandertechnik ist es dann sehr sinnvoll, sich bei einem Lehrer Unterstützung und HIlfe zu holen. Sicherlich, das Beispiel F. M. Alexanders zeigt, dass es auch ohne Hilfe von außen geht. Nur war sein Weg sehr mühselig. Ein Lehrer macht es sehr viel leichter zu verstehen, was es heißt, den Hals frei zu lassen, den Kopf nach vorne und oben zu nehmen, die Wirbelsäule zu längen und den Rücken zu weiten, wenn er es dem Hilfesuchenden ermöglicht, zu den richtigen sinnlichen Wahrnehmungen zu gelangen, die mit den neuen Informationen einhergehen, sein Bewusstsein zu entwickeln und seinen Gebrauch zu verbessern.

Auf der vierten Erkenntnisstufe werden die nun mehr und mehr verstandenen Informationen in die Praxis umgesetzt. Mit der Einbindung der Informationen in das tägliche Leben kommt es nach und nach zu einem sehr viel tieferen Verständnis darüber und zu einer Festigung der sinnlichen Wahrnehmungen, auf die man sich nun wirklich verlassen kann.

Liebe Marie, hört sich das Stufenmodell der Erkenntnis nicht plausibel an? Aber Vorsicht! Das Leben lässt sich nicht so leicht in ein Raster pressen. Leben ist vor allem Veränderung und Anpassung. Was sich heute noch als richtig erweist, kann im Nachhinein nur eine Zwischen- oder Übergangslösung gewesen sein. Und die Informationen marschieren auch nicht im Gleichschritt durch die verschiedenen Stufen der Erkenntnis.

Bis bald

Dein Großvater

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