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Im Brennglas der Alexandertechnik: "4 Könige" zum Zweiten


Der Baum als Symbol der Alexandertechnik

Liebe Marie,

der Film "4 Könige" wird also zur unserer Klammer, die das alte und das neue Jahr miteinanander verbindet. 2017 habe ich Dir von "Alex" erzählt. Jetzt in 2018 gibt es noch einiges über "Timo" zu berichten.

Ausgangspunkt für das, was ich zu Alex aus Sicht der Alexandertechnik zu sagen hatte, war eine einzige Szene des Films. Bei Timo sind es mehrere Szenen, die unter Alexandergesichtspunkten aufschlussreich sind. Da ist zunächst die Szene, in der Timo aus der geschlossen Anstalt in die psychiatrische Einrichtung kommt. Man sieht ihn in dieser Filmeinstellung in Begleitung von zwei Wärtern über den Hof kommen, festen Schrittes, bewusst aufrecht, muskulös, erhobenen Kopfes, mit stechendem Blick. Jede Sehne seines Körpers und auch sein Hals sind extrem angespannt. Er signalisiert nach außen, dass sein Wille ungebrochen ist. Fedja steht am Fenster und beobachtet das Geschehen.

Die zweite Szene, die in diesem Zusammenhang relevant ist, zeigt Timo mit seinem Vater, der ihn in der Psychiatrie besucht. Er ist das ganze Gegenteil von Timo: Gebeugt, in sich zusammengesunken, kraft- und willenlos. Man spürt förmlich die Verachtung, die Timo auf der einen Seite für seinen so schwachen Vater hegt. Timo fährt ihn zur Begrüßung an: "Setz Dich 'mal gerade hin, Mann!"

Später am See, als die "vier Könige" zusammen alternative Weihnachten feiern, erhält auch Fedja den Hinweis von ihm, "sich gerage zu halten. Brust raus! Dann tun sie Dir auch nichts."

Worauf ich hinaus will, ist nun dies: In den drei Situationen, die ich beschrieben habe, geht es ganz offensichtlich um die Art und Weise, wie man sich zu halten hat, will man nicht als Schwächling wahrgenommen werden. Das hat Timo schon sehr richtig erkannt, dass die Körperhaltungen seines Vaters und Fedjas sie für die Außenwelt zu "Loosern" abstempeln. Vielleicht hat er sogar auch erkannt, dass ein solcher Körpergebrauch tatsächlich schädlich ist. Das Körpermuster, das Timo für sich erwählt hat, wird in der Einlieferungsszene dargestellt. Unter allen Umständen muss er an diesem Muster festhalten, ansonsten würde er seine Persönlichkeit verleugnen. Nur sieht er nicht, dass hinter einer jeden "normalen Körperhaltung ein jeweiliger Gebrauch des geistig-körperlichen Organismus insgesamt steht", wie es F. M. Alexander in "Bewusste Kontrolle beim Auf- und Umbau des Menschen", der deutschen Neuübersetzung von CONSTRUCTIVE CONSCIOUS CONTROL OF THE INDIVIDUAL, BooksonDemand, 2019 ausdrückt. Wenn dieser Gebrauch schädlich ist, ist auch die jeweilige Körperhaltung, die mit dem Gebrauch aufgebaut wird, schädlich, wie Alexander weiter ausführt.

Dass etwas mit Timo nicht stimmt, wird dem Zuschauer eigentlich in jeder Einstellung mit ihm vor Augen geführt. Was stimmt also nicht an seiner Körperhaltung, die ihn so stark und so männlich erscheinen lässt? Nun, Timo hat sich diese Körperhaltung mit diesem Körpergebrauch erarbeitet, ohne sie auf eine solide Grundlage zu stellen: Sie ist ohne die richtige primäre Kontrolle von Kopf, Hals und Rücken zustandegekommen. Seine Körperhaltung ist teuer erkauft. Sein Hals ist extrem angespannt, sein gesamter Körper steht unter Hochspannung. Das ist der Grund, warum das Gebäude seiner Persönlichkeit so leicht zum Einsturz zu bringen ist. Ein falscher Blick, ein falsches Wort oder eine falsche Geste und der geistig-körperliche Organismus namens Timo explodiert. Im Film gipfeln die Explosionen in einem Kopfstoß, mit dem er einer Pflegekraft die Nase bricht.

Von den "4 Königen" ist Timo wohl derjenige, der auch mit Alexandertechnik am schwierigsten zu therapieren wäre, weil das Gebäude seiner Persönlichkeit, das er sich aufgebaut hat, nicht die geringste Kritik zulässt. Wie mir scheint, ist sein gesamtes Selbstvertrauen auf seinem Ideal einer Körperhaltung errichtet. Wenn schon ein Wort oder ein Blick zur Explosion führen können, wieviel größer müssen die Auswirkungen sein, wenn ihm sein Ideal genommen wird. Und doch ist es notwendig, dass genau dies in die Wege geleitet wird: Sein Körper wird nach den Kriterien einer bewussten Steuerung und Kontrolle des natürlichen Verhältisses von Kopf, Hals und Rücken neu aufgebaut und koordiniert werden müssen.

Und auch das ist ein großes Hemmnis für eine Therapie mit der Alexandertechnik bei Timo: Er lässt keine Berührung zu. Ohne den Einsatz der Hände des Alexandertechniklehrers ist es aber nahezu unmöglich, einem Schüler die kinästhetischen Erfahrungen zu vermitteln, die für den Umbau seines Körpers unbedingt notwendig sind. Und trotzdem besteht ein Fünkchen Hoffnung. Es gibt eine Szene, in der sich Timo ein wenig öffnen kann: Behutsam, vorsichtig, schüchtern streckt er eine Hand in Richtung Alex aus.

Liebe Marie, ich wünsche Dir für das Jahr 2018, dass Hoffnung, Verstand und Glück im nächsten Jahr Deine ständigen Begleiter sind.

Bis bald

Dein Großvater

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